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Der Menschenspieler

Der Menschenspieler

Titel: Der Menschenspieler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Lavender
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– ihn in den Augen der anderen irgendwie verdächtig erscheinen lassen würde. Sie waren ihm gegenüber immer so gewesen, kritisch und kühl. Ein kaputter Kühler? , würden sie höhnen. Das ist ja mal wieder typisch Lewis.
    Es war verrückt, so wahnsinnig wie manches, was seine Insassen sagten, aber er begann, sich eine Geschichte auszudenken. Eine Lüge, warum er zu spät kam. Eine Art Alibi, vorsichtshalber.
    Er parkte und lief den Hügel zu Fisks Haus hinauf. Wenn er die anderen noch erwischte, bevor sie zur Trauerfeier losgingen, dann könnte er sie davon überzeugen, dass es ihm wirklich etwas ausmachte, dass er Michael immer respektiert hat und dass das, was ihm zugestoßen war, eine sinnlose Tragödie war. Als er die Haustür erreicht hatte, klebte sein Hemd vor Schweiß an ihm, und er atmete in heftigen, schweren Stößen.
    Er klopfte, aber niemand antwortete. Lewis erinnerte sich aus seiner Studienzeit gut an das Haus: Fisk hatte die Englischstudenten oft eingeladen, jene neun, die für Aldiss’ Abendkurs ausgewählt worden waren. Lewis hatte immer ein erbärmliches Vergnügen dabei empfunden, mit den anderen hier in diesem Haus zu sein. Es war, als gehörte er an diesen Abenden, wenn sie sündhaft teuren Wein tranken und über große Literatur diskutierten, tatsächlich dazu. Bis er das Manuskript bekam, waren diese Gelegenheiten selten gewesen.
    Das Manuskript.
    Jetzt dachte er daran. Daran, wie diese eine spröde Seite, dieses Versprechen auf mehr, zu ihm gelangt war. Die anonyme Garantie, dass der unveröffentlichte Fallows hier war, in genau dem Haus, vor dem er stand. Lewis wollte mit Alex sprechen, fragen, ob sie den Rest gefunden hatte. Wenn er Fallows irgendwie wiederauferstehen lassen könnte, dachte er, wenn er ihn von den Toten auferwecken könnte, dann würden die anderen vielleicht ihre Meinung über ihn ändern. Ihn als ebenbürtig anerkennen.
    Er ging um das Haus herum und spähte hinein. Das Fenster, dunkel vor Schmutz, erlaubte kaum einen Blick ins Innere. Und doch war es unverkennbar: Jemand bewegte sich hinter der Glasscheibe.
    »Hey!«, rief er und klopfte ans Fenster. »Ich bin’s, Lewis! Ich bin hier! Ich habe es geschafft!«
    Er ging schnell wieder hinter das Haus, sah noch mal auf seine Uhr. Die Sekunden lasteten auf ihm, vergingen, und schließlich sprintete er los, über eine gepflasterte Veranda und zu einer Hintertür, und diese war …
    Offen. Sie stand sperrangelweit auf, lud ihn ein. Sein erster Durchbruch für heute.
    Er betrat ein Foyer. Sonnenlichtstreifen fielen auf den Holzboden. Er roch es: Moder und Verfall. Das Vergehen der Zeit. Sein Alter, Daniels Selbstmord. Michaels sinnlose Ermordung. Seltsamerweise erinnerte er sich an einen seiner Patienten, einen Mann, der seine dreijährige Tochter erdrosselt und dann verbrannt hatte, der sagte: »Auch Sie haben schlimme Gedanken, Dr. Prine. Darin sind wir einander gleich.« Lewis kniff die Augen zusammen und ging tiefer ins Haus.
    Seine Schritte hallten. Hier im Salon war eine Lampe an, verbreitete Licht, aber da war noch etwas. Sie waren vor kurzem hier gewesen. Eine Decke auf dem Sofa war verknautscht, schwarze Asche lag im Kamin.
    »Ich habe es geschafft«, sagte Lewis in den Raum hinein, in Richtung der Person, die er von draußen gesehen hatte. Seine Stimme hallte hohl zurück. Zeit für das Alibi: »Einer meiner Patienten. Es gab einen Notfall in der Anstalt. Aber jetzt bin ich endlich hier. Ist irgendwer da?«
    Er drehte sich um, um wieder zu gehen, aber da hörte er es wieder. Das leise Flüstern von Schritten. Das Knirschen einer Diele. Er wartete.
    Dann öffneten sich die Schatten, und jemand betrat den Raum. Ein bekanntes Gesicht.
    »Ich habe nicht gedacht, dass noch jemand hier ist«, sagte Lewis. »Gehst du … gehst du zur Trauerfeier?«
    »Keine Begrüßung für einen alten Freund, Lewis?«
    Die Person trat aus dem Dunkel, die Hände ausgestreckt, wie um zu sagen: Kein Grund zur Angst. Ich bin’s nur . Trotzdem fühlte Lewis sich unwohl. Er war schon zu spät, die Trauerfeier fing jeden Moment an, und sie hatten sich sowieso nie nahegestanden. Jedenfalls nicht so nah, wie er den anderen gewesen war.
    Er versuchte, sich zu sammeln. »Mein Gott, es ist Jahre her.«
    »Zu lange. Freunde sollten es sich zur Gewohnheit machen, ab und zu miteinander zu reden.«
    Lewis sah nach unten, warf einen Blick auf seine Uhr. Hitze brannte in seinen Armen. Warum standen sie beide hier herum? Es war Zeit zu gehen, sie

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