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Der Menschenspieler

Der Menschenspieler

Titel: Der Menschenspieler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Lavender
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schnipste mit den Fingern. »Bist du noch bei mir?«
    »Platon war ein Führer.«
    »Ja, und?«
    »Platon hat Aristoteles in Athen unterrichtet. Er hat seine Klassen unterrichtet, aber wo genau hat er seine Klassen unterrichtet, Keller?«
    Er verzog das Gesicht. Sie hatte ihn verloren.
    »Er hat seine Klassen im Freien unterrichtet. Erinnerst du dich an Humphries in HUM 101?«
    »Uah. Hump Fries. Der Antichrist.«
    »Humphries hat uns gesagt, dass Platon immer im Freien unterrichtet hat«, wiederholte sie. »Und was gibt’s draußen in Athen?«
    »Statuen?«
    »Komm schon, ich meine es ernst.«
    »Okay, okay. Was gibt’s draußen … dasselbe wie im Jasper College, nehme ich an. Blumen, Gras, Bäume.«
    Sie sah ihn mit großen Augen an. »Das ist es: Bäume.«
    »Worauf willst du hinaus, Alex?«
    Sie beugte sich vor, nahm ihre eigene Büchertasche und zog ihre Norton Anthology of World Literature heraus. Ihre Finger bewegten sich zielsicher durch die Seiten; wie oft hatte sie dieses Buch schon zu Rate gezogen, wie viele Schatzsuchen hatte sie begonnen, während ihre Professoren warteten? Sie war so gut darin geworden, Antworten zu finden, die ihre Theorien untermauerten, dass einige Professoren ihr vorwarfen, das schwere Buch auswendig gelernt zu haben.
    Jetzt suchte sie nach einem ganz bestimmten Werk. Es war nicht von Platon, es war von Homer.
    Als sie die Seite fand, überflog sie die Zeilen. Keller lehnte sich vor. Sie spürte sein Misstrauen heiß auf ihren Wangen. »Falscher Text, Mädchen. Das ist nicht der Grieche, den wir brauchen.«
    »Schhhh.«
    Sie machte weiter, Zeile um Zeile.
    »Es ist irgendwo hier«, sagte sie, ihr Tonfall leicht frustriert. »Ich erinnere mich daran, dass Humphries über die griechische Natur gesprochen hat, als unser Kurs Die Odyssee gelesen hat. Da gab es etwas über Bäume, etwas über …«
    Alex hielt inne. Sie hatte ihre alte Anmerkung wieder gefunden.
    »Was?«, fragte Keller, plötzlich voller Interesse. »Was hast du gefunden?«
    Sie las laut vor: »›Da standen sie still und riefen einander, / Führten Odysseus hinab zum schattigen Ufer des Stromes, / Wie es Nausikaa hieß, des hohen Alkinoos’ Tochter, / Legten ihm einen Mantel und Leibrock hin zur Bedeckung, / Gaben ihm auch geschmeidiges Öl in goldener Flasche / Und geboten ihm jetzt, in den Wellen des Flusses zu baden.‹«
    Alex schwieg und sah Keller an. Er hatte immer noch nicht begriffen.
    »Bei Fallows«, sagte er, »steht nichts dergleichen.«
    Sie unterbrach ihn, indem sie seine Hand berührte. Es war eine einfache Berührung, aber sie spürte den Funken zwischen ihnen – und sie merkte, dass Keller ihn auch spürte. Er schaute sie ruhig an.
    »Sieh dir meine Notiz an«, sagte sie. »Lies, was der Professor zu dem Abschnitt gesagt hat.«
    Keller nahm das Buch in seine riesige Hand und drehte es. Dann las er, was Alex als eifrige Erstsemesterstudentin an den Rand des Textes geschrieben hatte. Sie sah, wie er den Mund stumm bewegte, wie sein Mund den Ausdruck formte:
    Flüssiges Gold.
    Als er ihr wieder in die Augen schaute, sah sie Hoffnung darin aufkeimen. »Was bedeutet es?«
    »Ich denke, es hat etwas mit dem Teil über Öl zu tun«, sagte Alex. »Olivenöl. Platon hat im Freien unterrichtet und oft Olivenbäume für seine Studenten als Symbol benutzt. Vielleicht wollte Fallows die Symbolik tief im Text verbergen, sodass sie nur schwer zu erkennen ist. Das ist ein Anfang, Keller. Das muss es sein. Aber ich habe keine Ahnung, wohin er uns führt.«
    »Aber ich.«
    Sie blinzelte. »Was?«
    »Du bist gut, Ms Shipley, das muss ich zugeben«, sagte Keller. »Wirklich gut. Aber ich habe auch einiges auf dem Kasten, wie du gleich sehen wirst. Heute bin ich nämlich noch mal zu einigen der alten Karten in der Fisk-Bibliothek gegangen und habe Hamlet, Iowa, gefunden. Das ist der Ort, in dem Charles Rutherford gelebt hat und gestorben ist.«
    »Unser Lexikonvertreter, dessen Foto sich auf den Büchern findet.«
    »Richtig. Ich habe mir einfach ein paar der Straßen angesehen, um ein Gefühl für das zu bekommen, worüber Aldiss redet, wenn er uns sagt, dass wir mit Rutherford beginnen müssen, um Fallows zu finden. Und ich habe …«
    »Die Flüssiges-Gold-Straße gefunden.«
    Keller lächelte. »Nah dran, Klugscheißer.« Er drehte die Karte um und stellte seine Bierflasche auf eine Ecke. Sie standen beide da und starrten auf Iowa. Es war eine alte Karte, fotokopiert und verschmiert, der Bogen eines Flusses

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