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Der Menschenspieler

Der Menschenspieler

Titel: Der Menschenspieler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Lavender
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leer.
    Dekan Rice sagte ihren Namen, und Alex trat ans Mikrofon und schaute auf den Hof. Auf das Gedränge der Leute, auf die Reporter, die ganze Fotosalven aus der letzten Reihe schossen. Sie öffnete den Mund, aber es kam nichts heraus. Komm schon, Alex , sagte sie sich. In Harvard machst du das jeden Tag.
    Da spürte sie einen schweren Arm um sich. Keller war auf dem Podium neben sie getreten. »Es ist in Ordnung«, flüsterte er. »Ich bin hier.«
    Das machte ihr Mut.
    Alex lehnte sich nah an das Mikrofon und sagte: »Ein guter Freund sagte mir mal, dass der Tod es uns ermöglicht, das Leben genauer zu betrachten. Wenn wir uns das Leben von Dr. Michael Tanner genauer betrachten, sehen wir einen Mann, der der Wissenschaft verpflichtet war. Wir sehen einen Familienmenschen« – sie warf Sally, die nicht hinsah, einen Blick zu –, »der seine Frau und Tochter aufrichtig geliebt hat. Wir sehen einen Professor, der an die Theorie und die Praxis der guten Literatur geglaubt hat. Einen Mann, der Jahre seines Lebens diesem College gewidmet hat, um etwas zu verbessern, und der hier gestorben ist.«
    Sie machte eine Pause. Keller zog sie näher zu sich.
    »Ich habe Michael Tanner vor fünfzehn Jahren kennengelernt. Wir haben zusammen einen Kurs besucht, einen Kurs, der uns alle für immer verändert hat. Schon damals wusste ich, dass Michael ein hochintelligenter Mann war, aber er war mehr als das: Er war ein guter Mensch. Er glaubte an Gerechtigkeit und …« Die Menge rührte sich. Die Leute hörten ihr weniger zu, als dass sie sie durchsuchten : Sie sahen sie an, als könnten sie etwas aus ihr herausbekommen. Die Gesichter einer Gruppe von Studenten in der ersten Reihe sahen im fleckigen Sonnenlicht gierig aus. Wir wissen, wer Sie sind , sagten sie stumm. Wir wissen es, wir wissen es, wir …
    Alex knüllte die Trauerrede, die sie am Abend vorher in ihrem Zimmer geschrieben hatte, zusammen. Dann sammelte sie sich und sagte: »Die Prozedur ist ein gefährliches Spiel.« Die Menge schien verwirrt, unsicheres Gemurmel war zu hören. »Falls es irgendwer spielt, dann müssen Sie sofort damit aufhören. Michael wusste das so gut wie sonst jemand. Gäbe es die Prozedur nicht, könnte er noch …«
    In diesem Moment rief jemand etwas aus der Entfernung. Das Geräusch war von dem steilen Hügel gekommen, der zu Fisks Haus führte. Die Trauergäste drehten sich um und suchten den Rand des Campus nach der Stimme ab.
    Es war Detective Black. Er lief auf sie zu.
    Alles, was Alex tun konnte, war, dem Mann einfach nur beim Näherkommen zuzusehen. Er lief über den östlichen Hof und durchschritt die Menge, drängelte sich bis zur Bühne vor.
    »Was soll das, Detective?«, fragte Dekan Fisk. Er hatte seinen Rollstuhl vorgefahren. Seine blinden Augen überflogen wie wild die Menge.
    »Es hat noch einen Mord gegeben«, sagte Black außer Atem. »Die Leiche wurde vor wenigen Augenblicken in Ihrem Haus gefunden. Alle müssen sofort dorthin zurückkehren.«
    Mehrere Polizisten standen zu beiden Seiten des Sessels und sahen auf Lewis Prines Leiche. Er saß steif da, seine Hände über seinem Trenchcoat gefaltet. Das Feuer war erloschen, und der Raum roch nach Asche. Auf den Tischen bildeten Gläser und Flaschen vom Abend vorher ein einsames Muster; manche waren mit Lippenstift verschmiert, andere umgekippt. Und mitten im Raum befand sich ein toter Mann, der aussah, als würde er das Ganze wie ein Schaulustiger beobachten.
    Dann hatte er sich also doch entschlossen zu kommen , dachte Alex. Er ist nur zu spät auf dem Campus eingetroffen.
    Prines Kopf war nach hinten gebogen, als wäre er im Sitzen eingeschlafen, und auf seinem Gesicht lag ein Buch, ein Taschenbuch, das jetzt mit dunklem Blut beschmiert war. Es war Christian Kanes Barker bei Nacht .
    »Ich schwöre bei Gott«, sagte Christian. »Ich schwöre, dass ich nichts damit zu tun habe. Man will mir etwas anhängen. Man will mir etwas anhängen, gottverdammt!« Sein Tonfall war leicht hysterisch, und die anderen sahen ihn kalt an. Sally Tanner war Frank Marsden schlaff in die Arme gefallen; ihr Gesicht zeigte atemlosen Schock. Nein , flüsterte sie tonlos. Nein, nein, nein . Hinter ihr stand Lucy Wiggins am Kamin, die Arme um sich geschlungen, zitternd vor Angst. Und Keller stand neben Alex. Sein Blick sprang von der Leiche zur Wand dahinter und wieder zurück. Wie Alex konnte er Lewis nicht ansehen, ohne sich an Iowa zu erinnern.
    »Eine Schusswunde«, sagte Black, »knapp hinter

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