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Der Menschenspieler

Der Menschenspieler

Titel: Der Menschenspieler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Lavender
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könnten später reden.
    »Michael gehörte zur wahren Elite, stimmt’s?«, sinnierte sein Gegenüber. »Vielleicht war er sogar der Beste. Besser als du, Lewis. Sogar besser als Shipley.«
    Lewis zuckte bei dieser offenen Feindseligkeit zusammen.
    »Du weißt, was als Nächstes kommt, Lewis.« Sein Gegenüber kam einen Schritt näher. »Was hast du mit dem Manuskript gemacht?«
    Das war der blanke Irrsinn. Lewis streckte die Hand aus, als könne er die Anschuldigung körperlich abwehren. Woher weißt du das? Weiß das jeder? Es war nur eine Seite, wollte er sagen, eine Seite, die er vor vier Jahren geschickt bekommen hatte – aber er brachte nichts heraus. Sein Hals schnürte sich zusammen. Die Zeit pochte schmerzhaft in seinem Handgelenk, und alles, was er denken konnte, war: Auch Sie haben schlimme Gedanken, Dr. Prine. Auch Sie haben schlimme Gedanken …
    »Glaubst du, Michael ist wegen Fallows gestorben, Lewis?« Die Stimme klang nun scharf wie eine Stahlklinge. »Findest du es wirklich richtig, dass du ausgerechnet Alex Shipley das Manuskript gegeben hast?«
    Lewis sah zur Seite. Der Raum schien kleiner geworden zu sein, er zog sich um ihn zusammen. Er stand mit dem Rücken zur Wand. Da war keine Tür, nur der verrußte Schlund des Kamins. Er schmeckte die Asche im Hals.
    »Und dann drehte sich das Haus, wurde zu einem Spiegelkabinett.«
    Lewis verstand diesen Themenwechsel nicht, den leeren Blick in den Augen seines Freundes. Aber diese Zeile kam ihm irgendwie bekannt vor …
    »Das Haus verschlang den Mann, drehte sich nach innen und begann, ihn zu kauen, die Fenster näherten sich wie Zähne …«
    »Nein«, sagte Lewis schwach, als er endlich die Zeilen aus dem unveröffentlichten Fallows erkannt hatte. Sie stammten von der Seite, die man Lewis geschickt hatte. »Bitte tu das nicht.«
    »… und Stühle kippten um, sodass sie ihre Arme ausstreckten und ihn packten. Ihn hinabzogen, ihn unter sich begruben …«
    Er konnte nirgendwohin. Er stolperte, fiel schwer auf den Stuhl, der aus dem Nichts aufgetaucht war und ihm auf Kniehöhe den Weg versperrte. Er saß in der Falle.
    »Ich bin keiner von euch!«, schrie Lewis und sah panisch auf. »Ich bin anders als alle anderen aus dem Abendkurs, und das war ich schon immer! Ich bin anders, gottverdammt!«
    Aber als Lewis Prine diese Worte sagte, war alles, was er sah, ein bekanntes Gesicht aus der Vergangenheit, das sich zu ihm hinabbeugte, und eine große und tiefe Wahrheit durchfloss ihn. Die Erkenntnis kam hart und schnell und unumstößlich.
    Sie waren überhaupt nie Freunde gewesen.
    22
    »Sehr verehrte Damen und Herren«, sagte Dekan Rice vom Podium, »Wissenschaftler und geschätzte Gäste des Jasper College, wir haben uns heute hier versammelt, um Dr. Michael Tanner zu gedenken.«
    Ein kalter, hässlicher Morgen. Auf den Wegen gingen ein paar Studenten zu ihren Veranstaltungen, sie reckten die Hälse, um die Feier mit morbider Neugier zu beobachten. Einer von Tanners ehemaligen Studenten schluchzte, ein Reporter schoss ein Foto. Alex hatte den Morgen damit verbracht, sich zu überlegen, was sie über ihren ermordeten Freund sagen sollte, und je mehr sie darüber nachdachte, umso schlechter ging es ihr. Es stand jetzt ganz außer Frage: Sie hatten sich ihretwegen hier versammelt. Wegen dem, was sie in Iowa entdeckt hatte; weil sie den Abendkurs beendet und all das in Gang gesetzt hatte.
    Sie wand sich bei diesem Gedanken. Ihr Magen rebellierte.
    Während der Dekan mit seiner Begrüßung fortfuhr, sah Alex sich die Gesichter neben ihr auf der improvisierten Bühne an. Christian Kane wirkte nervös, zappelte herum wie ein Kind in der Kirche. Melissa Lee saß neben ihm, in formeller und gerader Haltung; eine mädchenhafte eiförmige Sonnenbrille verbarg ihre Gedanken. Daneben Frank Marsden, der zu spät gekommen war und jetzt ohne seine Freundin verloren aussah. Alex sah in die Menge, aber sie konnte Lucy Wiggins nirgendwo sehen. Sie vergaß die Schauspielerin und konzentrierte sich wieder auf die Bühne. Sally Tanner trug Schwarz. Ein Spitzenschleier hing über ihre Augen, und ihr Kinn war angespannt vor Trauer. Der Letzte war Jacob Keller, der sich gerade erst auf seinen Stuhl gesetzt hatte und sich bemühte, den Eindruck zu erwecken, als wäre er pünktlich gewesen. Er wirkte feierlich und ruhig, sein Kopf wie zum Gebet gebeugt. Am Ende der Bühne standen zwei weitere Stühle. Der erste für Lewis Prine, der andere für Dr. Richard Aldiss. Beide blieben

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