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Der Menschenspieler

Der Menschenspieler

Titel: Der Menschenspieler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Lavender
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Sie standen nun vor der Fisk-Bibliothek, eine einsame Straßenlaterne beleuchtete ihre Gruppe.
    Schließlich sprach Daniel Hayden. Die Stimme des Jungen klang scharf und deutlich: »Ich möchte damit nichts zu tun haben«, sagte er. Und er drehte sich um und ging. Die anderen sahen ihn weggehen, seine Schritte knirschend auf dem Eis, und als seine Gestalt nur noch ein Fleck auf dem dunklen Hof war, fragte Lee: »Hat sonst noch jemand Angst?«
    Niemand rührte sich. Somit hatten sie eine Abmachung.
    Vierundzwanzig Stunden später zog Alex ihre Handschuhe an und ging hinaus. Sie blieb auf der Veranda ihres Wohnheims stehen und sah über den Campus in eine verstörende Schwärze, ungewöhnlich für einen Winterabend. Wo war der Mond?
    Sie ging los, ihr Atem dampfte in ihre Augen. Sie hielt den Kopf gesenkt und bewegte sich instinktiv, sie kannte jede Ecke auf dem Campus wie ihre Westentasche. In drei Minuten und siebzehn Sekunden hatte sie ihr Ziel erreicht.
    Die Party war bereits in vollem Gang. Das Haus der Alpha-Sigma-Tau-Verbindung platzte aus allen Nähten, Studenten sammelten sich im Wohnzimmer vor einem prasselnden Kamin. Jemand stieß gegen sie, bot ihr einen Becher an. Das eiskalte Getränk schwappte auf ihre nackte Hand. Alex nahm es und trank. Die Musik dröhnte.
    Sie hielt Ausschau nach Keller. Sie hatte angefangen, das auf dem Campus zu tun bei diesen zufälligen Partys: den Raum nach seinem Lächeln absuchen. Manchmal sah sie ihn und manchmal nicht, aber sie hielt jedes Mal Ausschau nach ihm und fühlte sich leer, wenn sie ihn nicht fand.
    Inzwischen war sie weiter hinten im Haus. Ein paar hohe Fenster gingen auf den großen östlichen Campus, die Dunkelheit war hier weniger dicht. Ein paar Studenten saßen auf Bodenkissen und spielten Wahrheit oder Pflicht. Keller war nicht dabei. Das Lied – Throwing Muses »Cry Baby Cry« – endete, und ein anderes begann.
    Jemand drängelte sich an ihr vorbei. »Hey«, sagte Alex, der Drink brannte noch immer in ihrem Hals. Sie sah auf, aber die Person war in der Menge verschwunden.
    Nein. Nicht ganz. Sie hatte etwas zurückgelassen.
    Eine Notiz. Ein Papierschnipsel in ihrem Becher, der oben- auf schwamm, fünf Wörter, die verliefen, während sie sie las.
    Culver Hall. Es fängt an.
    Alex spürte, wie sich ihr Hals zusammenschnürte. Wieder sah sie sich um, lachte trotz ihrer Furcht. Während der ganzen Lernerei tagsüber hatte sie die Prozedur vollkommen vergessen, hatte sie mit Fallows ausgelöscht. Dem wahren Fallows, nicht der Legion an Subtexten: Die Windung , das Ende dieses seltsamen Buchs war beinahe erreicht; die Bedeutung, von der sie wusste, dass sie da war, verhöhnte sie, knapp außer Reichweite.
    Vielleicht musst du tiefer hinein , sagte sie sich jetzt . Vielleicht musst du dahin gehen, wohin Aldiss gegangen ist.
    Alex verließ das Haus und ging zurück in den schneidenden Wind. Sie machte sich auf den Weg zur Culver Hall.
    Das Gebäude war schwarz wie die Nacht. Nichts rührte sich, nichts raschelte.
    Zunächst sah Alex niemanden. Der Drink, das verrauchte Verbindungshaus, die Angst, die sie spürte, pochten in ihr, ließen ihre Gliedmaßen zittern. Sie bekam weiche Knie. Die Kälte wurde heftiger, die mondlose Nacht unergründlicher. Sie fragte sich, ob jemand sie hereingelegt hatte, ob das Lees Art war, ihr einen Streich zu spielen. Diese Zicke , dachte sie, und dann sah sie einen Schatten über die dunkle Fassade des Gebäudes huschen. Jemand kam.
    Frank Marsden tauchte vor ihr auf, ein schiefes Lächeln auf dem Gesicht. »Miss Claire?«, sagte er.
    Alex wollte lachen. Das hier zu machen, heute Abend … es war lächerlich. Und doch wollte ein anderer Teil von ihr damit weitermachen, herausfinden, ob sie das Spiel, von dem Aldiss in seinem Kurs gesprochen hatte, spielen konnte. Herausfinden, ob sie würdig war. Sie erinnerte sich an seine Worte: Das Seltsame an der Prozedur war, dass man nicht wusste, dass man mittendrin ist, bis man bemerkte, dass sich etwas verändert hatte.
    »Ja, Sir?«, sagte sie.
    »Willkommen daheim, meine Liebe«, fuhr Marsden fort und ging als Schauspieler ganz in der Rolle auf. »Willkommen in … Scheiße.« Er schüttelte den Kopf und holte ein Taschenbuch heraus. Es war Die Windung . Marsden hatte eine kleine Taschenlampe mitgebracht, und er leuchtete auf die Seite. Schließlich sagte er: »Willkommen in Hamlet, Iowa. Haben Sie irgendeinen Wunsch?«
    Alex öffnete ihren Mund, um etwas zu sagen, aber es kam nichts.

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