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Der Menschenspieler

Der Menschenspieler

Titel: Der Menschenspieler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Lavender
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deklamierte: »Wer hat eure zwei Freunde ermordet?«
    Sie alle sahen einander an. Lange sagte niemand etwas, und als eine Stimme zu hören war, war es die von Dekan Fisk persönlich.
    »Ich glaube«, sagte er, »dass ich die Antwort auf diese Frage kenne.«
    32
    Rice ging durch die Bücherstadt. Hier waren so viele, dass sie zu einem Teil des Hauses geworden waren, sich mit den Wänden verbunden hatten. Es war, dachte er, als bestünde das kleine Haus aus Papier und Kleber. Es gab keine Grenze, wo die Wände anfingen und die Bücher endeten, keine Linie dazwischen.
    Er drehte sich um. Seine Sinne hellwach. Er starrte in die Dunkelheit.
    »Hallo?«, fragte er. »Ist da jemand?«
    Aber nein. Er hatte es sich nur eingebildet. Da war niemand. Das Haus war klein genug, um von diesem Punkt aus jedes Zimmer zu sehen, und doch war es irreführend. Es war wie ein Labyrinth, man konnte sich darin verlaufen. Rice sah sich im Salon um und in den drei Zimmern am Hauptflur. Eine Art Büro mit einem alten, schäbigen Stuhl, der zum See hinaussah, ein winziges Badezimmer, und zwischen diesen Zimmern war ein weiteres eingeklemmt. Ein Schlafzimmer, nahm er an. Und wie merkwürdig, dachte Rice, er ging jetzt nicht aus eigenem Antrieb, sondern wurde von etwas getrieben, das nicht sein eigener Wille war. Er näherte sich dem Raum und roch ihn , roch die Luft und wusste, wusste tief im Innern, dass er nur dadurch etwas aufgespürt hatte.
    Es war feminin. Er nahm den Geruch einer Frau wahr.
    Scheiße , sagte er zu sich. Scheiße, Scheiße, verdammte Scheiße.
    Er ging zurück in den Flur. Das winzige Haus pulsierte jetzt um ihn herum, die Luft und das Licht und alles andere erstarrten um ihn herum und machten es ihm schwer, sich zu bewegen. Zu stehen. Zu atmen. Er musste hier raus. Er musste zurück nach Jasper.
    Rice ging zur nächstliegenden Tür, trat hinaus ins Tageslicht.
    Er schnappte nach Luft und ging ein paar Schritte. Er fiel hin, seine Knie bohrten sich in die nasse Erde, dann drückte er sich hoch und ging noch einen Schritt. Er sah auf, sein Blick wurde langsam klar, und ihm wurde bewusst, dass er zur falschen Seite hinausgegangen war. Er war zur Hintertür hinausgetreten, hatte sich drinnen im Labyrinth aus Büchern verirrt und fand sich jetzt hier auf der anderen Seite des Hauses direkt vor dem See wieder. Jetzt würde er …
    Der See. Rice betrachtete ihn, beobachtete, wie er im Wind plätscherte und schwappte. Er war so schwarz wie Schlamm, das Ufer hatte sich über die Jahre gelockert und im Wasser gelöst. Er war am nördlichen Ufer, sah über das Wasser zum gegenüberliegenden Ufer. Da drüben war nichts außer Vermont, blau im Nachmittagssonnenlicht. Und hier, wo er war, roch er das brackige Wasser. Abgestanden war es, es wellte sich wie verrückt und floss zurück wie eine schwarze Decke, die von einem Bett gerissen wird. In der Mitte befand sich eine Schwimminsel, und Rice beobachtete, wie sich das Ding im Wasser drehte. Über ihm am Himmel stieg ein Schwarm Zaunkönige auf mit einem Geräusch wie dem Blättern in einem dicken Buch.
    Als er wieder nach unten schaute, sah er etwas knapp unter der Oberfläche.
    Es war nicht weit von ihm entfernt. Es war da, direkt unter dem Wasserspiegel, flackerte im Licht wie der Bildschirm eines kaputten Fernsehers. Da, nicht da, da, nicht da. Die Sonne weigerte sich stillzustehen.
    »Nein«, sagte Rice, sein Mund völlig ausgetrocknet. »Nein. Nein.«
    Dann beugte er sich vor. Kniete sich in den Schlick. Sein Körper rutschte in dem Matsch, seine Hände griffen vor, sein Gesicht nur Zentimeter von der Grenze entfernt, die diese Welt von der des Wassers trennte. Der Geschmack des Sees dort war greifbar, die süßliche, metallische Schärfe. Aber er war unten in der Kälte, sein Arm eingetaucht, und er streckte sich, versuchte, das Ding zu berühren, das er hatte schillern sehen. Er verschwand halb in der Schwärze, und dann endlich, endlich, berührte er es. Und es zu spüren brachte seltsamerweise alles wieder ins Lot, richtete die Erde wieder auf, brachte alles wieder in Ordnung. Es fühlte sich genauso an, wie er es sich gedacht hatte. Es war genau das, was er vermutet hatte.
    Es war eine Hand.
    33
    »Wer hat das getan?«, fragte Keller. »Wer hat unsere Freunde getötet, Dekan Fisk?«
    Der Dekan sah nach vorn, seine Augen blieben einen Moment lang stehen. »Ist das denn inzwischen nicht offensichtlich, Mr Keller?«
    In diesem leeren Blick lag etwas. Etwas Eindringliches.

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