Der Menschenspieler
wir wollten mal sehen, wie’s ihm geht. Er wohnt doch immer noch hier bei Ihnen, oder?«
»Ja«, sagte die Frau. »Er hat oben sein eigenes Zimmer. Woher kommen Sie, sagten Sie?«
»Aus Vermont«, sagte Alex.
»Und Sie sind den ganzen Weg hierhergekommen, um …«
»Wir finden wirklich, dass Charlies Geschichte ganz außergewöhnlich ist.«
Was tust du da, Alex? Das ist etwas, das Aldiss tun würde. Wir sollten nicht …
Aber Lydia Rutherford trat zur Seite, und Keller ging in das kleine Haus. Alex hatte keine andere Wahl, als ihm zu folgen.
»Mein Ehemann ist 1974 gestorben«, sagte die Frau, als sie alle in der Küche waren. »Charles jun. war neun. Er ist ohne Vater aufgewachsen. Sein Zustand machte es viel schwieriger. Aber wir haben es geschafft, irgendwie haben wir es geschafft.«
»Ihr Ehemann«, sagte Keller, »was hat er gemacht?«
»Er war Vertreter«, sagte Lydia. »Er hat Lexika an der Haustür verkauft. Wir denken, das hat ihn umgebracht. Er hat sich überarbeitet. Er wollte irgendwann einmal im Hauptbüro arbeiten, oben bei den Anzugträgern. Er hat die Symptome einfach ignoriert. Er ist genau hier auf der Veranda gestorben. Ich habe nicht noch einmal geheiratet.«
Ihr Blick schweifte ab.
»Manchmal kommen Leute wie Sie hierher«, fuhr sie fort.
»Wie wir?«, fragte Keller.
»Studenten. Sie nennen sich Wissenschaftler . Sie denken … Das wird jetzt alles verrückt klingen.«
»Gar nicht.«
»Sie denken, mein Charles war ein berühmter Schriftsteller. Dass er diese Romane unter einem anderen Namen geschrieben hat. Dass er ein – wie nennt man es? Ein Ghostwriter war. Für sie sind das alles verrückte Spiele. Aber einige sind so hartnäckig. Sie haben unser Haus von der Straße aus fotografiert. Einmal hat sogar ein Paar auf unserem Rasen geheiratet. Wir wollten umziehen, meine Schwester lebt in Des Moines. Aber das haben wir dann doch nie getan. Charlie gefällt es hier, und die Nachbarn waren gegenüber seinen Problemen immer sehr nachgiebig.«
Seine Probleme , dachte Alex. Was ist mit ihrem Sohn los? Was hat diese Frau die ganze Zeit so allein hier gehalten?
»Es ging ihm früher viel schlechter«, fuhr Lydia fort. »Er war so wütend. Manche Leute in der Nachbarschaft glauben, dass er das immer noch ist. Aber ich kenne die Wahrheit. Ich weiß, dass es Charlie viel besser geht als früher.« Die Frau machte eine Pause, und Alex betrachtete sie. Was ist mit ihr geschehen? Wen schützt sie? »Charlies Vater wollte ihn in ein Heim geben. Er wusste, dass unser Sohn etwas … anders war. Und, na ja, ich bin nicht stolz darauf, aber wir haben ihn dorthin geschickt.« Die Frau wurde blass. »Ich war schwach, und Charles war in diesen Dingen sehr strikt. Dann, als er gestorben ist …« Sie schwieg. »Es war ein Wunder. Dr. Morrow hat Charlie zu dem Mann gemacht, der er heute ist. Er hat meinen Sohn gerettet.«
Hinter ihnen war ein Geräusch zu hören, wie das Krähen eines kleinen Kindes.
»Da ist Charlie ja«, sagte Lydia Rutherford sanft. »Ich werde ihm sagen, dass er Besuch hat.«
Die Frau verließ die Küche. Die zwei Studenten saßen an einem kleinen Esstisch, keiner sagte ein Wort. Im Nebenzimmer hörte Alex gedämpftes Reden, das feminine Zwitschern der Witwe und dann langes Schweigen.
»Sie werden uns auf die Schliche kommen«, flüsterte Alex. »Sie wird es herausfinden. Es ist nur eine Frage der Zeit.«
»Du hast sie angelogen«, zischte Keller. »Du hast uns das eingebrockt.«
Schritte näherten sich. Alex setzte sich auf und faltete die Hände im Schoß.
»Er ist jetzt bereit, Sie zu treffen«, hörten sie die Stimme der Frau hinter ihrem Rücken.
Sie gingen ins Wohnzimmer. Es war halbdunkel, nur eine kleine Lampe leuchtete matt. Ein Mann saß in einem Schaukelstuhl und wippte leicht, sein Blick geradeaus gerichtet.
»Charlie hasst das Licht«, flüsterte Lydia Rutherford. »Das hat er schon immer.«
Dann wandte sie sich an ihren Sohn mit einer Stimme, die vermuten ließ, dass der Mann schwerhörig sein könnte: »Charlie, hier sind deine Gäste. Sie sind den ganzen Weg von Vermont hergekommen. Sie haben in ihrem College von dir gelesen. Von dir und Dr. Morrow.« Sie sah erwartungsvoll aus.
Der Sohn drehte sich zu ihnen um, und Alex schnappte heftig nach Luft.
Das Foto auf dem Rücken der Fallows-Romane stand ihr vor Augen. Sie hatte endlich den Mann im dunklen Anzug gefunden.
Alex
Gegenwart
36
Richard Aldiss war verschwunden, und sie waren alle in
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