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Der menschliche Körper

Der menschliche Körper

Titel: Der menschliche Körper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paolo Giordano
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den Jungs gleichen. Für die größeren machen wir größere Haufen.»
    Dann sind alle Soldaten aus den Fahrzeugen ausgestiegen, ohne um Erlaubnis zu bitten, und helfen mit, während die Schafe verschwunden sind, die lebendigen wie die toten, sich in nichts aufgelöst haben wie eine kollektive Halluzination.
    Dann ist da Egitto, der den Männern zusieht, wie sie auf die vier Haufen starren. Cederna hält die Säcke auf, während die anderen sie füllen. Sie werden oben zugeknotet, und er schreibt mit einem Stift die Initialen darauf. Der Sack von Camporesi ist schwerer als die anderen. Er hätte ein wenig mit ihm plaudern können, gestern. Vielleicht hätte das etwas geändert, oder wenigstens würde er sich jetzt nicht so beschissen fühlen.
    Dann legen sie noch mehr Weg zurück, noch mehr Wüste, wie Schlafwandler. René schluchzt verzweifelt, ohne das Lenkrad loszulassen. Der Oberleutnant weiß nicht, was er ihm sagen soll, daher schweigt er.
    Dann ist es Nacht, und es ist kalt, und da sind eine Milliarde weiße und hoheitsvolle Sterne, die darum wetteifern, wer am hellsten strahlt. In den Fahrzeugen eingeschlossen, beobachten die Jungs sie mit aufgerissenen Augen.
     
    Den ganzen Nachmittag hindurch war es ein einziges Kommen und Gehen. Sie hatten die Nachricht im Radio gehört oder im Fernsehen gesehen, und von da an stand immer wieder jemand vor der Tür. Zu zweit, zu viert, ganze Familien. Bis Signora Ietri in den Keller hinunterging, den Inhalt des Werkzeugkastens auf den Boden kippte, einen Kreuzschraubenzieher packte, die Abdeckung der Sprechanlage abmontierte und die elektrischen Drähte mit der Schere durchschnitt. Eine Frau wie sie, die dreizehn Jahre ohne Ehemann gelebt hat, kann bestimmte Dinge, weiß, wie man kaputte Glühbirnen auswechselt, auch die an schwer zugänglichen Stellen, sie weiß, wie man elektrische Drähte verbindet, und folglich auch, wie man sie durchtrennt. Sie hat im ganzen Haus die Rollläden heruntergelassen, aber die Quälgeister ließen nicht locker, sie verlegten sich aufs Telefon. Sie ließen es so lange läuten, bis sie dranging. Eine Belagerung. Der Letzte war Oberst Ballesio, der ihren Sohn zwei Tage zuvor noch lebendig gesehen hat. War er mager? Nein, nicht sehr. War er glücklich? Ja, er schien glücklich. Haben Sie mit ihm gesprochen? Ich … nicht eigentlich, jedenfalls habe ich ihn gesehen. Signora Ietri stellte alle Fragen, die ihr in den Sinn kamen. Und war doch nicht zufrieden, als er sie alle beantwortet hatte. Aber sie war stolz darauf, keine einzige Träne vergossen zu haben. Sie will sich das Weinen für später aufheben, wenn sie vorzeigbar ist. Sie ist noch gar nicht richtig angezogen, sie ist noch nicht einmal gekämmt. Die Offiziere sind gekommen, mit dem Hut unter dem Arm, als sie noch gar nicht ausgehbereit war. Da, schau doch nur, was für ein schreckliches Loch in den Strümpfen! Sie müssen es bemerkt haben. Es kommt ihr so vor, als würde sie nie mehr die Kraft aufbringen, sich anständig herzurichten. Sie muss für immer so bleiben, mit dem Loch im Strumpf, durch das der große Zeh herausschaut; und im Morgenrock. Mein Gott! Was habt ihr mit ihm gemacht? Jetzt ist sie zweifache Witwe. Aber der alte Schmerz versteckt sich nicht hinter dem neuen. Der neue setzt sich auf die Schultern des alten und schaut weit in die Ferne hinaus. Mein armer Junge. Er war erst zwanzig. An einer Stelle ist der Nagellack am großen Zeh abgegangen. Wie ich ausgesehen hab! Was für eine Schande für die Mutter eines Soldaten. Signora Ietri bricht in heftiges Weinen aus. Sie läuft ihrem Sohn nach, in die Wüste.
     
    Renés Männer sind erschöpft und haben Verluste erlitten, aber sie müssen weiterfahren. Es ist der dritte Tag des Einsatzes, und sie sind gegenüber dem Marschplan so sehr im Rückstand, dass die Gefahr besteht, dass ihnen die Wasservorräte ausgehen, bevor sie am Ziel sind. Das wäre dann das nächste Unheil.
    Jeder mobilisiert Energien, von denen er nicht einmal wusste, dass er sie besitzt. Diesmal begleiten die Hubschrauber sie von oben, wie Schutzengel, und am Boden wird nichts mehr gefunden.
    Sie erreichen den anderen Teil des Konvois. Sie kommen an Buji vorbei, in Gund werden sie noch einmal mit Mörsergranaten unter Beschuss genommen, aber der Feind hat sie auf der entgegengesetzten Seite erwartet, und der Angriff bleibt wirkungslos. Die Einheit von Masiero reagiert auf das Feuer mit unverhältnismäßiger Gewalt, während die Jungs vom Dritten zu

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