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Der menschliche Körper

Der menschliche Körper

Titel: Der menschliche Körper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paolo Giordano
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da draußen, den von einem orangefarbenen Bogen erhellten Horizont. Zampieri regt ihn sehr auf und beruhigt ihn sehr, je nachdem. Das ist merkwürdig und gibt ihm zu denken. Das ACRT lässt dreimal wegen verdächtiger Gegenstände anhalten: ein aufgeschlitzter toter Vogel am Rand der Piste, ein paar im Nichts abgestellte schlaffe Säcke, eine Gruppe von drei Steinen, die in fast gerader Linie liegen. Dreimal falscher Alarm, aber ausreichend, um Ietris Unruhe zu erhöhen. Von dem Punkt, wo er sie noch in Schach halten konnte, breitet sie sich nun im ganzen Körper aus. Er umklammert den Lauf des Sturmgewehrs fester, das er aufrecht zwischen den Knien hält. Er sucht nach möglichen geometrischen Formen in den Steinen, vielleicht kann er auffällige ausmachen, die den Pionieren entgangen sind. Doch er versteht nichts davon, die Steine sind alle regelmäßig oder unregelmäßig, je nachdem, wie man sie betrachtet. Er fragt sich, wie die Sturmpioniere ihre Arbeit verrichten. Kann sein, dass sie auch nach dem Zufallsprinzip vorgehen, in der Tat lässt manchmal einer sein Leben dabei. «Sind wir bald da?», kann er sich nicht verkneifen zu fragen.
    Keiner antwortet ihm.
    «Sind wir nun da oder nicht?»
    «Wir sind da, wenn wir da sind», antwortet Zampieri kalt, ohne den Blick von der Straße zu wenden.
    Sie steigen aus dem Fahrzeug aus, die Sonne ist bereits aufgegangen. Im Laufschritt legen die Soldaten etwa fünfzig Meter zurück, biegen um eine Ecke, dann um noch eine. René scheint zu wissen, wo sie hinwollen. Sie stellen sich in einer Reihe an einer Hauswand auf.
    Sie verständigen sich mit Gesten der Arme, des Kopfes und der Finger, kodifizierte Zeichen. Ungefähr bedeuten sie: Ihr nach vorn, schaut da drüben, du machst die Nachhut, wir gehen durch diese Tür. Der letzte Befehl gilt Ietri: Du zuerst, Cederna gibt dir Rückendeckung, tritt die Tür ein und wirf dich zur Seite. René hebt den rechten Daumen, das heißt: Hast du verstanden. Ietri denkt, ja, aber wenn er sich täuscht? Er bewegt den Zeigefinger, um dem Kommandanten zu bedeuten, er solle es noch einmal wiederholen. René wiederholt die Zeichenfolge noch einmal, langsamer.
    Okay?
    Okay.
    Ietri läuft an die Spitze der Kolonne und wechselt dann auf die andere Seite des Eingangs. Cederna folgt ihm in zwei Schritten Abstand. Musste er ausgerechnet mich aussuchen?, denkt Ietri. Wer weiß, warum, aber ihm kommen die Kakerlaken aus der Ruine in den Sinn, die Art, wie sie still durch den Raum krabbelten, auf der Suche nach einem Versteck auf ihrem Weg.
    Schau dich um, Alter. Schau, wo wir sind
.
    In der Ferne kräht laut ein Hahn und bringt ihn wieder zu sich. Also rekapitulieren wir: Da ist eine leere Straße, die zwischen den Häusern verläuft und sich in der Wüste verliert, ein Teil der Straße liegt im Schatten, der Schatten kommt von dem Haus, wo der Feind versteckt ist, und auf der schattigen Seite stehen die Soldaten, zu siebt. René vorneweg, stehen sie rechts von der Holztür, er und Cederna sind die einzigen auf der anderen Seite.
    Ietri fährt mit der Hand in den Kragen, er sucht nach dem Kettchen mit dem Kreuz, führt es an die Lippen und merkt, dass seine Hände zittern. Auch die Beine. Und die Knie. Scheiße. Er hat nur einen einzigen Tritt, um die Tür aufzubrechen. Sie scheint ziemlich morsch, aber immerhin ist da ein Riegel. Vielleicht haben sie sie von innen mit Eisenstangen gesichert, in diesem Fall ist er geliefert. Sie könnten ihn in einem Augenblick erledigen, wenn die Taliban im Haus ihr Kommen bemerkt haben und sie jetzt mit Kalaschnikows im Anschlag erwarten. Sie eröffnen das Feuer auf den Ersten, der sich zeigt, und der Erste ist er. Da war etwas, woran er sich erinnern sollte, bevor er starb, bis vor einer Minute hatte er es noch im Kopf. War das vielleicht seine Mutter? Die Art, wie sie ihm als Kind mit den Fingern die Haare zum Bubikopf kämmte? Das scheint es ihm nicht zu sein. Jetzt erinnert er sich jedenfalls nur an die Ohrfeige, die seine Mutter ihm am Tag vor seiner Abreise gegeben hat, und die Art, wie sie am Flughafen geweint hat. Ietri packt eine unbändige Wut auf sie.
    «Los, Jungfräulein, los», feuert Cederna ihn von hinten an.
    Aber Ietris Waden sind schwer wie nasse Sandsäcke. Gar nicht daran zu denken, ein Bein zu heben und der Tür einen Tritt zu geben. Die Sohle der Stiefel könnte mit dem Boden verschmolzen sein, soviel er weiß. «Ich kann nicht», antwortet er.
    «Was soll das heißen, du kannst

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