Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der menschliche Körper

Der menschliche Körper

Titel: Der menschliche Körper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paolo Giordano
Vom Netzwerk:
tun, sie machte alles: Sie hielt ihn so fest, dass sie ihn fast erdrückte, und wiederholte immer wieder Mama ist bei dir, Mama ist bei dir. «Manchmal glaube ich auch, dass ich unfähig bin», sagt er.
    «Wo du doch immer alles richtig machst. Das Bett immer picobello in Ordnung, immer pünktlich beim Appell, nie beschwerst du dich oder machst Quatsch. Sehen Sie hier den Obergefreiten Ietri, er ist der perfekte Soldat!»
    Ietri gefällt der Ton nicht, in dem sie das sagt. Er gibt sich Mühe, die Dinge richtig zu machen, das stimmt, daran kann er auch nichts Schlechtes finden. Er verspürt jedoch das Bedürfnis, sich zu rechtfertigen. «Auch ich habe Bockmist gebaut!»
    «Natürlich.»
    «Im Ernst.»
    «Was du nicht sagst.»
    «Neulich nachts ist mir die Taschenlampe ins Klo gefallen.»
    Verblüfft fährt Zampieri herum und sieht ihn an. «Die Taschenlampe, die die Toilette verstopft hat, war
deine

    «Ich habe versucht, sie herauszuziehen, aber es war stockdunkel. Ich wollte meine Hände da nicht reinstecken. Es war schmutzig, ich hab mich geekelt.»
    Das Mädchen schlägt sich mit den Händen auf die Schenkel und fängt an, lauthals zu lachen. «Du bist ein echter Idiot.»
    «Hör auf! Du weckst ja das ganze Lager.»
    Aber Zampieri hört nicht auf. «Du bist wirklich ein Idiot!», wiederholt sie.
    Dann lässt sie sich auf die Seite fallen, und es macht ihr nichts aus, dass sie mit der Wange über den Boden streift.
    «Ich kann wenigstens schießen», murrt Ietri immer gereizter.
    Sie setzt sich wieder auf. Sie hat Staub an der Wange und wischt ihn mit dem Unterarm weg. «Ist gut, ist gut. Sei nicht böse», sagt sie, aber dann fängt sie wieder an zu lachen.
    Das Fleckchen Erde in dem Wachturm ist mit Patronenhülsen übersät. Ietri nimmt eine und dreht sie zwischen den Fingern hin und her. Er fragt sich, ob sie zu einem Schuss gehört, der getötet hat, oder zu einem, der ins Leere ging.
    Zampieri schnaubt durch die Nase. «He, bist du beleidigt?»
    «Nein.»
    «Wirklich nicht? Du wirkst zu Tode beleidigt.»
    «Ich bin nicht beleidigt.»
    «Du bist nett, wenn du so schmollst.»
    Ietri bleibt der Mund offen stehen. «Was?»
    «Ich habe gesagt, dass du nett aussiehst.»
    «In welchem Sinn?»
    «In
keinem
besonderen Sinn! Du bist nett und basta. Hat dir das noch nie jemand gesagt?»
    «Nein.»
    «Du solltest dich jetzt sehen. Du bist ganz rot geworden.»
    «Wie kannst du so etwas sagen, wir sind doch fast im Dunkeln?»
    «Du bist so rot, dass man es auch so sieht. Du leuchtest, verdammt.»
    Vermutlich hat sie recht. Ietri
fühlt
sich rot. Er kehrt Zampieri den Rücken zu und tut so, als würde er durch die Schießscharte schauen. Das Gebirge ist ein großes geducktes Tier, kaum schwärzer als der Himmel, man erkennt seine Umrisse. Zampieri hat gesagt, er sei nett. Ob er das glauben soll? Sie öffnet den Reißverschluss ihrer Jacke, greift in die Innentasche und holt ein Aluminiumfläschchen hervor, trinkt einen Schluck und bietet es ihm an. «Hier. So beruhigst du dich ein bisschen.»
    «Was ist denn das?»
    Sie zuckt mit den Schultern.
    «Bist du verrückt? Wenn man uns erwischt, wie wir gemeinsam auf dem Wachturm trinken, bekommen wir Arrest.»
    «Was habe ich gesagt, meine Herrschaften? Hier sehen Sie den Obergefreiten Ietri, er ist der perfekte Soldat!»
    Sie trinkt noch einen Schluck und lacht in sich hinein. Ietri schämt sich. «Gib her», sagt er.
    Zampieri reicht ihm den Flachmann. Er trinkt einen Schluck. Es ist Grappa, und er ist scharf. Er gibt die Flasche zurück. «Wie bringst du dieses Zeug nur runter?»
    «Ich trinke, was da ist. Willst du noch?»
    «Ja.»
    Ein Weilchen machen sie so weiter, reichen sich die Flasche hin und her. Ietri hört auch dann nicht auf, als er schon keine Lust mehr hat, weil er bei jeder Übergabe die Finger der Kameradin streifen kann. «Hast du Angst gehabt gestern Nacht?»
    «Ich habe nie Angst», erwidert sie. Sie wickelt sich eine Haarlocke um den Finger. «Und du?»
    «Nein, nein», beeilt Ietri sich zu sagen, «bestimmt nicht.»
    Zampieri hat den Reißverschluss an der Jacke etwas offen gelassen, man sieht das grüne Hemd, das über dem Busen spannt. Ietri stellt sie sich ohne Kleider vor. Er baut ihre Gestalt methodisch auf, vom Hals bis zu den Füßen. Sie hat wieder angefangen, an der Fingerkuppe ihres Daumens zu beißen, und wirkt fern, in Gedanken versunken, die nichts mit ihm zu tun haben. «Das werde ich dem Hauptmann heimzahlen», murmelt sie, «eines Tages

Weitere Kostenlose Bücher