Der menschliche Körper
senkt die Pistole einen Moment lang, was für René und Simoncelli reicht, sich auf ihn zu stürzen, ihn zu Boden zu werfen und zu entwaffnen. In Wahrheit – und im Unterschied zu dem, was später von diesem Auftritt berichtet wird – leistet Mitrano keinen Widerstand. Er beschränkt sich darauf, am Boden zu liegen. Seine Hand ist schlaff und kraftlos, als René ihm die Beretta abnimmt.
Da sind wieder Simoncellis Arschbacken auf seinem Gesicht, komisch, nicht?, denkt er unwillkürlich. Die einen teilen aus, und die anderen stecken ein, so funktioniert das. Es hat immer so funktioniert. Während die Truppe sich um ihn versammelt, schließt der Obergefreite die Augen. Er lässt sich fallen.
Die Schüsse haben die schlafenden Soldaten geweckt und die noch wachen überall auf der Basis in Alarmbereitschaft versetzt. Die Fixeren haben sich komplett angezogen, um dann blöde, von Kopf bis Fuß ausgerüstet, auf einen Befehl zu warten. Die Wachposten verständigen sich per Funk und können keine Einigung darüber erzielen, woher die Schüsse kommen, sie lokalisieren sie ungefähr im nördlichen Abschnitt der FOB . Da niemand um Hilfe bittet, beruhigen sie sich bald wieder. Sicher hat es sich um Schüsse ohne Bedeutung gehandelt. Das kann vorkommen, dass sich versehentlich ein Schuss löst, wenn man Tag und Nacht mit der Waffe im Arm zubringt.
«Was war das?», fragt Irene.
«Pssst.»
Die beiden lauschen, die Umarmung ihrer Körper nur unmerklich lockernd, während die erotische Spannung unerklärlicherweise nicht nachlässt. Egitto wartet auf das Heulen der Sirene.
«Das war nichts», sagt er schließlich. «Mach dir keine Sorgen.»
Dankbar bedeckt das nächtliche Geschöpf sein Gesicht mit einer Flut von Haaren, dann wirft es sich mit dem ganzen Gewicht auf ihn.
Weiße Flockenwirbel
Es war ein Tag im Januar, und es schneite, als ich Marianna im Hinblick auf ihr Kleid belog. Ich hatte sie gebeten, auf dem Rücksitz Platz zu nehmen, aber sie wollte nichts davon wissen. Während wir an der Wagentür darüber diskutierten, legten sich winzige Flocken auf ihre ungewohnte Frisur.
«Der Sicherheitsgurt wird es zerdrücken», sagte ich.
«Ich setze mich nicht nach hinten wie die Kinder. Dieser Platz ruft schlimme Erinnerungen in mir wach. Weißt du noch, wie dein Vater uns erklärte, was im Falle eines
Frontal
zusammenstoßes mit unserem
Schädel
geschehen würde? Na
bitte
.»
Während der Fahrt hielt sie den Gurt weg vom Busen, um das Dekolleté nicht zu ruinieren. Sie rieb die Lippen gegeneinander, und ich wusste, dass sie wie besessen darauf herumbeißen würde, hielte sie nicht der Lipgloss davon ab, den die Kosmetikerin kurz zuvor aufgetragen hatte und der sie glatt wie polierten Stein erscheinen ließ. Hätte ich ihr in diesem Augenblick den nackten Arm hingehalten, sie hätte vermutlich ihre Zähne hineingeschlagen.
«Eigentlich müsste eine Braut sich
glücklich
fühlen, wenn es am Tag ihrer Hochzeit schneit.»
«Warum, bist du nicht glücklich?», fragte ich, bereute es aber umgehend. Es mit Mariannas Unzufriedenheit aufzunehmen war das Letzte, wozu ich Lust hatte.
Sie bemerkte den verfänglichen Charakter meiner Frage nicht. Verdrossen schaute sie auf die weiß verschneiten Äste der Bäume und sagte: «Mir scheint das nur ein Ärgernis
mehr
. All die durchnässten
Schuhe
. Und der
Matsch
.»
Die laut ausgesprochene, unbedachte Frage hatte jedoch genügt, um die ganze Bitternis über mich zu ergießen, die ich seit einigen Monaten über uns fühlte. Bestürzung hatte sich auf Bestürzung gehäuft seit dem stillen Erdbeben, das unsere Familie entzweit und mich wie ein dürres Kerngehäuse in der Mitte zurückgelassen hatte. Zum Niederschlag würde die Bedrohung voraussichtlich am Morgen der Feierlichkeit kommen, wie der Schnee, den die Meteorologen nach Tagen eines erstickend grauen Himmels mit verblüffender Genauigkeit vorhergesagt hatten. In einer Stunde würde Marianna mit einem tüchtigen Jungen die Ehe schließen. Sie heiratete ihn aus Dankbarkeit, vor allem aber aus Trotz gegen unsere Eltern. Sie heiratete ihn mit knapp fünfundzwanzig Jahren und ließ alles Weitere offen. Sie heiratete ihn und basta, aus freien Stücken, und ich würde sie am Arm durch das Hauptschiff der Kirche führen, steif und lächerlich in einer Rolle, die nicht meine war, um sie ihm zu übergeben.
Sie klappte die Sonnenblende herunter und betrachtete ihr Gesicht in dem kleinen rechteckigen Spiegel. «Heute Nacht
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