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Der menschliche Makel

Der menschliche Makel

Titel: Der menschliche Makel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Roth
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so etwas machen. Und wie lange werden sie das noch machen? Zwei junge Frauen. Schlitzaugen. Warum sitzen sie da und machen das? »Ich muss hier raus.« Doch er kann sich nicht rühren, weil er sich ganz und gar auf die Frauen konzentrieren muss.
    »Warum machen diese Frauen das?« fragt Les Louie. »Warum hören die nicht auf damit? Müssen die das die ganze Zeit machen? Wollen die den ganzen Abend damit weitermachen? Wollen die immer wieder von vorn anfangen? Und warum? Kann mir irgend jemand sagen, warum? Mach, dass sie damit aufhören.«
    »Beruhige dich«, sagt Louie.
    »Ich bin ja ganz ruhig. Ich will bloß wissen, ob sie damit weitermachen. Kann irgend jemand machen, dass sie damit aufhören? Fällt keinem ein, wie man sie dazu bringen kann, damit aufzuhören?« Seine Stimme wird jetzt lauter, und dagegen kann man ebenso wenig tun wie dagegen, dass die Frauen da sitzen und das machen.
    »Les, wir sind in einem Restaurant. In einem Restaurant kocht man Bohnen.«
    » Erbsen «, sagt Les. » Das sind Erbsen! «
    »Les, du hast deine Suppe, und gleich kommt der nächste Gang. Der nächste Gang, das ist alles, was jetzt zählt. Das ist alles. Das ist es. Alles, was du als nächstes tun musst, ist, dein zweimal gebratenes Schweinefleisch essen. Das ist alles.«
    »Ich hab genug Suppe gegessen.«
    »Ja?« sagt Bobcat. »Willst du sie nicht aufessen? Bist du damit fertig?«
    Von allen Seiten dringt die bevorstehende Katastrophe auf ihn ein - wie lange kann diese Qual noch in Essen verwandelt werden? Les schafft es, ganz leise zu sagen: »Kannst sie haben.«
    Und in diesem Augenblick setzt sich der Ober in Bewegung - und dabei tut er so, als wollte er die leeren Suppenschalen abräumen.
    »Nein!« brüllt Les, und Louie ist wieder auf den Beinen und sieht aus wie der Löwendompteur im Zirkus, und während Les angespannt darauf wartet, dass der Ober angreift, bedeutet Louie dem Ober mit seinem Stock, zu bleiben, wo er ist.
    »Bleiben Sie da«, sagt Louie zu dem Ober. »Bleiben Sie da . Wir werden Ihnen die Schalen bringen. Kommen Sie nicht an unseren Tisch.«
    Die Frauen haben aufgehört, die Erbsen zu palen, und zwar ohne dass Les aufgestanden und hingegangen ist und ihnen gezeigt hat, wie man damit aufhört.
    Und Henry ist ein Komplize, das ist jetzt klar. Dieser dünne, geschmeidige, lächelnde Henry, dieser junge Mann in Jeans, schrillbuntem Hemd und Joggingschuhen, der ihm Wasser eingeschenkt hat und der Besitzer ist, starrt Les von der Tür aus an. Er lächelt, aber er starrt. Der Mann ist eine Bedrohung. Er versperrt den Ausgang. Henry muss weg.
    »Alles in bester Ordnung«, ruft Louie Henry zu. »Das Essen ist sehr gut. Ausgezeichnet. Darum kommen wir auch immer wieder hierher.« Und zum Ober sagt er: »Folgen Sie einfach meinen Anweisungen.« Er lässt den Stock sinken und setzt sich wieder. Chet und Bobcat räumen die Suppenschalen zusammen, gehen zum Ober und stellen sie auf sein Tablett.
    »Noch jemand?« fragt Louie. »Will noch jemand erzählen, wie es für ihn beim ersten Mal war?«
    »Mh-mh«, sagt Chet, während Bobcat sich an die angenehme Aufgabe macht, Les' Suppe aufzuessen.
    Als der Ober mit dem Rest ihrer Bestellung aus der Küche kommt, stehen Chet und Bobcat sofort auf und gehen ihm entgegen, bevor das verdammte blöde Schlitzauge die Anweisung noch einmal vergisst und ihrem Tisch zu nahe kommen kann.
    Und jetzt steht es da. Das Essen. Die Qual, die Essen geworden ist. Lo Mein: Rindfleisch und Krabben. Moo goo gai pan. Rindfleisch mit Chili. Zweimal gebratenes Schweinefleisch. Schweinerippchen. Reis. Die Qual, die Reis geworden ist. Die Qual, die Dampf geworden ist. Die Qual, die Gerüche geworden ist. Das alles soll ihn vor dem Tod bewahren. Soll ihn mit dem Les verbinden, der er als Junge war. Das ist der immer wiederkehrende Traum: der unversehrte Junge auf der Farm.
    »Sieht gut aus!«
    »Schmeckt noch besser!«
    »Willst du, dass Chet dir was auf den Teller tut, oder willst du es selbst machen, Les?«
    »Keinen Hunger.«
    »Das macht nichts«, sagt Louie, während Chet beginnt, Essen auf Les' Teller zu löffeln. »Du brauchst keinen Hunger zu haben. Das ist keine Bedingung.«
    »War's das dann?«, fragt Les. »Ich muss hier raus. Kein Scheiß, Leute. Ich muss wirklich hier raus. Mir reicht's. Ich halt das nicht aus. Ich hab das Gefühl, ich raste gleich aus. Mir reicht's. Ihr habt gesagt, ich könnte jederzeit gehen. Ich muss hier raus.«
    »Ich höre das Codewort nicht, Les«, sagt Louie,

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