Der menschliche Makel
unbeholfen bewegen zu können und gezwungen zu sein, aufrecht auf einem Fundament aus Sand zu stehen, dieser unbekümmerte Louie lacht. »Ich dachte, der hat keine Chance. Aber, Mann«, sagt Louie, »du hast nicht bloß die Suppe geschafft, sondern bis zu diesen verdammten Glückskeksen durchgehalten. Weißt du, wie viele Anläufe ich gebraucht hab, um bis zu den Glückskeksen durchzuhalten? Vier. Vier Anläufe, Les. Beim ersten Mal bin ich gleich aufs Klo gerannt, und die anderen haben eine Viertelstunde auf mich einreden müssen, um mich da wieder rauszukriegen. Weißt du, was ich meiner Frau sagen werde? Ich werde ihr sagen: ›Les hat das gut hingekriegt. Les hat das echt gut hingekriegt ‹ «
Aber als es an der Zeit war, ein zweites Mal dorthin zu fahren, weigerte sich Les. »Reicht es denn nicht, dass ich da gesessen hab?« »Nein, ich will, dass du isst«, sagte Louie. »Ich will, dass du das ganze Menü isst. Das volle Programm von A bis Z. Wir haben jetzt ein neues Ziel, Les.« »Ich will aber kein neues Ziel. Ich hab's durchgestanden, ohne einen umzubringen. Reicht das nicht?« Doch eine Woche später fuhren sie wieder zum Harmony Palace, in der gleichen Besetzung. Das gleiche Glas Wasser, die gleichen Speisekarten, sogar der gleiche Geruch nach billigem Eau de Cologne, den das besprühte Fleisch der asiatischen Frauen im Restaurant verströmt und der Les in süßen, elektrisierenden Schwaden umweht, dieser verräterische Duft, der ihn zu seinem Opfer führt. Beim zweiten Mal isst er, beim dritten Mal isst und bestellt er - auch wenn der Ober sich noch immer nicht dem Tisch nähern darf -, und beim vierten Mal darf der Ober ihnen das Essen am Tisch servieren, und Les isst wie ein Verrückter, er isst, bis er beinahe platzt, er isst, als hätte er ein Jahr lang gehungert.
Draußen klatschen sie einander auf die Hände. Sogar Chet ist guter Laune. Chet spricht. Chet ruft das Motto der Marines: » Semper fi! «
»Das nächste Mal«, sagt Les auf dem Heimweg, ganz benommen von dem Gefühl, aus dem Grab auferstanden zu sein, »das nächste Mal wirst du zu weit gehen, Louie. Das nächste Mal wirst du verlangen, dass es mir gefällt! «
Doch was als Nächstes ansteht, ist eine Fahrt zur Wand. Und das schafft er nicht. Es war schlimm genug, Kennys Namen in dem Buch nachzuschlagen, das sie in der VA hatten. Danach war ihm eine Woche lang schlecht. Er konnte an nichts anderes denken. Er kann überhaupt an nichts anderes denken. Kenny neben ihm, ohne Kopf. Tag und Nacht denkt er: Warum Kenny, warum Chip, warum Buddy, warum sie und nicht ich? Manchmal denkt er, dass sie diejenigen sind, die Glück gehabt haben. Für sie ist es vorbei. Nein, auf keinen Fall, auf gar keinen Fall fährt er zur Wand. Zu dieser Wand. Nie im Leben. Er kann nicht. Er will nicht. Schluss, aus.
Tanz für mich.
Sie sind jetzt seit sechs Monaten zusammen, und so sagt er eines Abends: »Komm, tanz für mich«, und legt im Schlafzimmer eine CD auf, das Artie-Shaw-Arrangement von The Man I Love, bei dem Roy Eldridge Trompete spielt. Tanz für mich, sagt er, löst die Arme, mit denen er sie umschlungen hält, und zeigt auf den Boden am Fußende des Bettes. Seelenruhig steht sie auf von dort, wo sie den Geruch gerochen hat, den Geruch des nackten Coleman, den Geruch von sonnengebräunter Haut; sie steht auf von dort, wo sie, Zähne und Zunge mit seinem Sperma überzogen, das Gesicht auf seine nackte Flanke gebettet, sich dicht an ihn geschmiegt und ihre Hand unterhalb seines Bauches auf das krause, weiche Gewirr des lockigen Haars gelegt hat, und während er sie genau beobachtet - seine grünen Augen mustern sie unentwegt durch den dunklen Vorhang seiner langen Wimpern, ganz und gar nicht wie ein erschöpfter alter Mann, der jeden Augenblick ohnmächtig werden könnte, sondern eher wie jemand, der das Gesicht an eine Fensterscheibe drückt -, tut sie es, nicht kokett, nicht wie Steena 1948, nicht wie ein bezauberndes Mädchen, eine bezaubernde junge Frau, die tanzt, weil es ihr Lust bereitet, ihm Lust zu bereiten, eine bezaubernde junge Frau, die nicht genau weiß, was sie tut, und die zu sich selbst sagt: »Ich kann ihm das geben - er will es, und ich kann es ihm geben, also: Da ist es.« Nein, es ist nicht ganz die naive, unschuldige Szene, in der die Knospe sich zur Blüte entfaltet, in der das Füllen sich in eine Stute verwandelt. Tatsächlich: Faunia kann es ihm geben, aber sie tut es ohne die knospende Reife, ohne eine jugendliche,
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