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Der menschliche Makel

Der menschliche Makel

Titel: Der menschliche Makel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Roth
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verschwommene Idealisierung ihrer und seiner selbst, ohne eine Idealisierung aller Lebenden und Toten. Er sagt: »Komm, tanz für mich«, und sie lacht ihr unbeschwertes Lachen und antwortet: »Warum nicht? In dieser Hinsicht bin ich großzügig« und beginnt, sich zu bewegen. Sie glättet ihre Haut, als wäre sie ein zerknittertes Kleid, sie sorgt dafür, dass alles da ist, wo es sein soll, dass es straff, knochig oder gerundet ist, wie es sein soll, ihre Finger verströmen einen Hauch ihrer selbst, den vielsagenden, vertrauten grünen Geruch, als sie sich damit über den Hals streicht, über die warmen Ohren und von dort langsam über die Wangen bis zu den Lippen, und mit ihrem Haar, dem ergrauenden blonden Haar, das von der Anstrengung feucht und zerzaust ist, spielt sie, als wäre es Seetang: Sie tut, als wäre es Seetang, als wäre es immer schon Seetang gewesen, ein großer, tropfender, mit Salzwasser gesättigter Haufen Seetang - und was kostet es sie schon? Was soll's? Tauch ein. Ergieß dich. Wenn es dies ist, was er will, dann fang ihn ein, diesen Mann, dann umgarne ihn. Er wäre nicht der Erste.
    Sie spürt es, als es geschieht: das Ding, die Verbindung. Sie bewegt sich, sie erhebt sich vom Boden am Fußende des Bettes, der jetzt ihre Bühne ist, verführerisch zerzaust und gesalbt von dem vorangegangenen Akt, hellhaarig und weißhäutig, wo sie nicht sonnenverbrannt ist von der Arbeit auf der Farm, und an einem halben Dutzend Stellen zerschrammt, eines ihrer Knie ist aufgeschürft wie bei einem Kind, weil sie in der Scheune ausgerutscht ist, an ihren Armen und Beinen hat der Zaundraht halb verheilte, ganz feine, fadenartig gewundene Schnitte hinterlassen, ihre Hände sind rau, gerötet, wund von den Glasfibersplittern, die sie sich beim wöchentlichen Umsetzen der Zaunpfosten eingerissen hat, an der Kehle, genau am Übergang vom Hals zum Rumpf hat sie ein blütenblattförmiges, rougefarbenes Mal, das sie entweder im Melkstand oder von ihm bekommen hat, ein anderes, blauschwarzes Mal ist auf der Rundung ihres unmuskulösen Oberschenkels, es gibt Stellen, wo sie gebissen oder gestochen worden ist, eines seiner Haare bildet ein Et-Zeichen und klebt wie ein neckischer gräulicher Schönheitsfleck auf ihrer Wange, ihre Lippen sind gerade so weit geöffnet, dass die Wölbung ihrer Zahnreihen zu sehen ist, und sie hat keine Eile, ans Ziel zu gelangen, denn der eigentliche Genuss ist der Weg dorthin. Sie bewegt sich, und jetzt sieht er sie, sieht diesen sich streckenden Körper, der sich rhythmisch hin- und herwiegt, diesen schlanken Körper, der so viel stärker ist, als er wirkt, und überraschenderweise so schwerbrüstig, er sieht, wie dieser Körper sich, gehalten von den langen, geraden Stielen ihrer Beine, neigt, neigt, neigt, wie er sich ihm gleich einem bis zum Rand gefüllten Schöpflöffel zuneigt. Er leistet keinen Widerstand, er liegt ausgestreckt auf den kleinen Wellen des Lakens, den Kopf gestützt von einem wirbelnden Strudel aus zusammengeballten Kissen. Sein Kopf ist auf einer Höhe mit ihren Hüften, ihrem Bauch, ihrem sich wiegenden Bauch, und er sieht sie, jede kleinste Einzelheit, er sieht sie, und sie weiß, dass er sie sieht. Sie sind miteinander verbunden. Sie weiß: Er will, dass sie auf etwas Anspruch erhebt. Er will, dass ich hier stehe und mich bewege, denkt sie, und dass ich Anspruch erhebe, auf das, was mir gehört. Und das wäre? Er. Er. Er bietet sich mir an. Na gut, hier geht's um Hochspannung - dann wollen wir mal. Und so schenkt sie ihm ihren mit Raffinesse geladenen Blick aus niedergeschlagenen Augen und bewegt sich, bewegt sich, und die formale Kraftübertragung beginnt. Und für sie ist es sehr schön, so zu dieser Musik zu tanzen und zu spüren, wie die Kraft weitergeleitet wird, und zu wissen, dass er auf ihren kleinsten Wink, auf das Fingerschnippen, das den Ober herbeiruft, aus diesem Bett kriechen und ihr die Füße lecken würde. Der Tanz hat kaum begonnen, und schon könnte sie ihn schälen und essen wie ein Stück Obst. Es hat nichts damit zu tun, dass ich verprügelt worden bin und dass ich die Putzfrau bin; ich putze im College den Dreck der anderen weg, und ich putze im Postamt den Dreck der anderen weg, und man entwickelt eine schreckliche Härte, wenn man das macht, wenn man den Dreck der anderen wegputzt; wenn du die Wahrheit wissen willst: Es ist ein Scheißjob, und erzähl mir nicht, dass es keine besseren gibt, aber immerhin hab ich diesen Job, und ich mache

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