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Der menschliche Makel

Der menschliche Makel

Titel: Der menschliche Makel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Roth
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was du willst.
    Wie oft hat dir eine Frau das gesagt und es wirklich ernst gemeint? Ich werde alles tun, was du willst. Mach's nicht kaputt. Geh damit nicht irgendwo anders hin, Coleman. Das ist der Grund, warum wir hier sind. Denk nicht, dass es irgendwas mit morgen zu tun hat. Schließ alle Türen, die in die Zukunft und die in die Vergangenheit. Alle gesellschaftlichen Gedanken - sperr sie aus. Alles, was diese wunderbare Gesellschaft von uns will. Die Art, wie wir uns in der Gesellschaft eingerichtet haben. ›Ich sollte, ich sollte, ich sollte.‹ Scheiß drauf! Das, was du sein sollst, und das, was du tun sollst, tötet alles ab. Ich kann weitertanzen, wenn's darum geht. Dieser heimliche kleine Moment - wenn's darum geht. Dieses Stückchen ist für dich. Dieses Stückchen Zeit. Es ist nicht mehr als das, und ich hoffe, das weißt du.«
    »Tanz weiter.«
    »Das hier ist wichtig«, sagt sie. »Wenn ich aufhören würde zu denken, dass ich ...«
    »Was? Dass du was?«
    »Dass ich schon als Mädchen eine kleine Hure war.«
    »Warst du das?«
    »Er hat sich immer eingeredet, dass es nicht seine, sondern meine Schuld war.«
    »Der Stiefvater.«
    »Ja. Das hat er sich eingeredet. Und vielleicht hatte er ja recht. Aber mit Acht oder Neun oder Zehn hatte ich keine andere Wahl. Es war die Brutalität, die so falsch war.«
    »Wie war das, als du zehn warst?«
    »Es war, als hätte man von mir verlangt, mir das ganze Haus auf den Rücken zu laden und wegzutragen.«
    »Wie war es, wenn nachts die Tür zu deinem Zimmer aufging und er hereinkam?«
    »Es war, als wäre ich ein Kind im Krieg. Hast du mal diese Zeitungsfotos von Kindern nach einem Bombenangriff gesehen? So war das. Es war so groß wie eine Bombe. Aber ganz egal, wie oft ich sie abkriegte - ich stand immer wieder auf. Das war mein Untergang: dass ich immer wieder aufstand. Und dann war ich zwölf, dreizehn und bekam einen Busen. Ich fing an zu bluten. Plötzlich war ich bloß noch ein Körper mit einer Möse in der Mitte ... Aber bleib hier, beim Tanzen. Schließ alle Türen, in die Zukunft und in die Vergangenheit, Coleman. Ich sehe dich, Coleman. Du schließt nicht alle Türen. Du hast noch immer Fantasien von Liebe. Weißt du was? Ich brauche eigentlich einen Mann, der älter ist als du. Dem diese Liebesscheiße gründlich ausgetrieben worden ist. Du bist zu jung für mich, Coleman. Sieh dich an. Wie ein kleiner Junge, der sich in seine Klavierlehrerin verknallt hat. Du bist dabei, dich in mich zu verlieben, Coleman, und dabei bist du viel zu jung für eine Frau wie mich. Ich brauche einen viel älteren Mann. Ich glaube, ich brauche einen Mann, der mindestens hundert ist. Hast du nicht einen Freund, der im Rollstuhl sitzt und dem du mich vorstellen kannst? Ein Rollstuhl ist in Ordnung: Ich kann tanzen und ihn herum schieben. Vielleicht hast du einen älteren Bruder. Sieh dich an, Coleman. Wie du mich mit deinen Schuljungenaugen anstarrst. Bitte, bitte ruf deinen älteren Freund an. Ich werde weitertanzen, aber ruf ihn an. Ich will mit ihm sprechen.«
    Und während sie das sagt, weiß sie, dass dies und das Tanzen der Grund dafür sind, dass er sich in sie verliebt. Und es ist so leicht. Ich hab viele Männer angezogen, eine Menge Schwänze, sie finden mich und kommen zu mir, nicht einfach irgendwelche Männer mit irgendwelchen Schwänzen, nicht die, die keine Ahnung haben, und das sind fast neunzig Prozent, sondern Männer, junge Burschen, die eine echte Männlichkeit besitzen, Männer wie Smoky, die das wirklich verstehen. Du kannst dir die Haare raufen über das, was du nicht hast und was ich sogar dann habe, wenn ich angezogen bin, und manche Männer kennen es - sie wissen, was es ist, und darum finden sie mich, darum kommen sie zu mir, aber das hier, das hier ist so leicht, wie einem Kind seinen Lutscher wegzunehmen. Klar - er erinnert sich. Wie könnte er auch nicht? Wenn man es einmal gekostet hat, vergisst man es nie mehr. Ach je. Nachdem ich ihm zweihundertsechzigmal einen geblasen hab, nachdem er mich vierhundertmal regulär und hundertsechsmal in den Arsch gefickt hat, beginnt der Flirt. Aber so ist das eben. Wie oft haben irgendwelche Menschen schon geliebt, bevor sie gefickt haben? Wie oft habe ich geliebt, nachdem ich gefickt habe? Oder wird jetzt alles anders?
    »Willst du wissen, wie ich mich fühle?«, fragt sie ihn.
    »Ja.«
    »Ich fühle mich einfach gut.«
    »Und wer«, fragt er, »kommt aus dieser Sache lebend raus?«
    »Sehr gute Frage,

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