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Der menschliche Makel

Der menschliche Makel

Titel: Der menschliche Makel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Roth
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dreihundert Dollar - was bist du eigentlich? Ein feiner
    Pinkel? Wenn du ihn haben willst, musst du ihn dir nehmen. Klar? Okay?«
    Die Krähe pflückte den Ring von ihren Fingern und hielt ihn fest im Schnabel.
    »Danke«, sagte Faunia. »Nimm ihn mit rein«, flüsterte sie, damit die Frau sie nicht hörte. »Nimm ihn mit in den Käfig. Na los, mach schon. Er gehört dir.«
    Aber wieder ließ der Vogel ihn fallen.
    »Er ist sehr schlau«, rief die Frau zu Faunia hinüber. »Wenn wir mit ihm spielen, stecken wir eine Maus in einen Behälter und verschließen ihn. Und er findet dann heraus, wie er den Behälter öffnen kann. Es ist erstaunlich.«
    Wieder hob Faunia den Ring auf und bot ihn Prince an, und wieder nahm er ihn und ließ ihn zu Boden fallen.
    »Oh, Prince, das war Absicht. Wir spielen hier ein Spielchen, stimmt's?«
    Kräh. Kräh. Kräh. Kräh. Prince brach in sein fremdartiges Krächzen aus, ihr mitten ins Gesicht.
    Faunia hob die Hand und begann, den Kopf und dann ganz langsam auch den Körper des Vogels zu streicheln, und er ließ es zu. »Ach, Prince. Ach, so herrlich schimmernd. Er summt was für mich«, sagte sie, und ihre Stimme klang hingerissen, als hätte sie endlich den ganzen Sinn des Lebens erkannt. »Er summt. « Sie antwortete: »E-mmmhhhh ... E-mmmhhhh ... Mmmmhhhhh ... «, und imitierte den Vogel, der tatsächlich eine Art Brummen von sich gab, als er den Druck der Hand spürte, die seinen Rücken streichelte. Und plötzlich - klick, klick - klickte er mit dem Schnabel. »Oh, das ist gut«, flüsterte Faunia, und dann wandte sie den Kopf zu der Frau und fragte mit ihrem herzlichsten Lachen: »Ist er zu verkaufen? Das Klicken hat mich überzeugt. Ich nehme ihn.« Sie kam mit ihren Lippen seinem klickenden Schnabel immer näher und flüsterte: »Ja, ich nehme dich, ich kaufe dich -«
    »Er zwickt, also passen Sie auf Ihre Augen auf.« »Ich weiß. Ich hab mich schon ein paarmal von ihm zwicken lassen. Als wir uns kennengelernt haben, hat er mich gezwickt. Aber er klickt auch. Oh, Kinder, hört mal, wie er klickt.«
    Und sie dachte daran, wie sie sich angestrengt hatte, sich umzubringen. Zweimal. Da oben, in dem Zimmer in Seeley Falls. In dem Monat nach dem Tod der Kinder hab ich zweimal versucht, mich umzubringen. Beim ersten Mal hatte ich es praktisch schon geschafft. Das weiß ich von dem, was die Schwester mir erzählt hat. Die Kurve auf dem Bildschirm, die den Herzschlag zeigt, war gar nicht mehr da. Normalerweise tritt dann der Tod ein, hat sie gesagt. Aber manche haben eben Glück. Und dabei hab ich mir solche Mühe gegeben. Ich weiß noch, dass ich geduscht und mir die Beine rasiert habe und dass ich dann meinen besten Rock, den Jeansrock, angezogen habe. Den Wickelrock. Und die Bluse aus Brattleboro, damals, im Sommer, die bestickte Bluse. Ich kann mich an den Gin und das Valium erinnern und auch noch schwach an dieses Pulver. Den Namen hab ich vergessen. Irgendein Rattengift, das bitter war und das ich unter den Butterscotchpudding gerührt hab. Hab ich den Backofen angestellt? Hab ich das vergessen? Bin ich blau angelaufen? Wie lange hab ich geschlafen? Wann haben sie beschlossen, die Tür aufzubrechen? Ich weiß noch immer nicht, wer das eigentlich getan hat. Ich fand es himmlisch, mich vorzubereiten. Es gibt Zeiten im Leben, die es wert sind, gefeiert zu werden. Zeiten des Triumphs. Die Gelegenheiten, für die man große Garderobe erfunden hat. Ach, wie ich mich zurechtgemacht habe. Ich hab mir Zöpfe geflochten. Ich hab mir die Augen angemalt. Meine Mutter wäre stolz auf mich gewesen, und das will was heißen. Ich hatte sie eine Woche vorher angerufen, um ihr zu sagen, dass die Kinder tot waren. Der erste Anruf in zwanzig Jahren. »Hallo, Mutter, hier ist Faunia.« »Tut mir leid, ich kenne niemanden, der so heißt«, hat sie gesagt und aufgelegt. Die Sau. Als ich davongelaufen war, hat sie allen gesagt: »Mein Mann ist sehr streng, und Faunia wollte sich nicht an die Regeln halten. Sie hat sich noch nie an die Regeln gehalten.« Die klassische Vertuschung. Welches privilegierte Mädchen wäre je davongelaufen, weil es einen strengen Stiefvater hat? Sie läuft davon, du Sau, weil der Stiefvater nicht streng, sondern ein lüsternes Schwein ist und sie nicht in Ruhe lässt. Jedenfalls hab ich meine besten Sachen angezogen. Nur das Beste. Beim zweiten Mal nicht mehr. Und dass ich mich beim zweiten Mal nicht mehr zurechtgemacht hab, sagt eigentlich alles. Ich war nicht mehr mit dem

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