Der menschliche Makel
kommt keine bürgerliche Überheblichkeit. Smoky macht alles richtig, und das auch noch elegant - eine Frau, Kinder, fünf Kinder, so verheiratet, wie man nur sein kann, am College ein Sportheld, in der Stadt beliebt und bewundert -, aber er hat eine Gabe: Er kann aus all dem heraustreten. Wenn man sich mit ihm unterhält, kann man sich das gar nicht vorstellen. Mr. Athena Square, wie er leibt und lebt, ein Mann, der alles, aber auch alles, genau so tut, wie er es tun soll. Macht den Eindruck, als würde er sich seine eigene Geschichte zu hundert Prozent abkaufen. Man sollte meinen, dass er denkt: Was? Diese blöde Schnepfe mit ihrem verpfuschten Leben? Schafft sie mir vom Hals! Aber das tut er nicht. Im Gegensatz zu allen anderen in Athena ist er nicht so sehr in der Legende von Smoky gefangen, dass er nicht denken kann: Ja, das ist eine echte Frau, und ich will sie ficken. Oder dass er nicht handeln kann. Er fickt sie, Nathan. Er macht einen Dreier mit Faunia und einer anderen Frau aus der Putzkolonne. Er fickt sie beide. So geht das sechs Monate. Dann taucht eine Immobilienmaklerin auf, frisch geschieden und neu in der Stadt, und macht mit. Smokys Zirkus. Smokys geheimer Drei-Manegen-Zirkus. Doch dann, nach sechs Monaten, lässt er sie fallen - er nimmt Faunia aus dem Rotationsplan und lässt sie fallen. Ich wusste nichts davon, bis sie es mir erzählt hat. Und sie hat es mir nur erzählt, weil sie eines Nachts im Bett die Augen verdreht und mich mit seinem Namen angesprochen hat. ›Smoky‹, hat sie geflüstert. Dort oben auf Old Smoky. Durch das Wissen, dass sie bei dieser Menage mitgemacht hat, habe ich eine genauere Vorstellung von der Lady bekommen, mit der ich es zu tun habe. Der Einsatz wurde höher. Es ließ mich regelrecht zusammenfahren: Das ist keine Amateurin. Auf die Frage, wie Smoky seine Schäfchen um sich schart, sagt sie: ›Mit der Kraft seines Schwanzes.‹ ›Das musst du mir erklären‹, sage ich, und sie erklärt: ›Du weißt doch, jeder Mann merkt, wenn eine echte Frau den Raum betritt. Und umgekehrt ist es genauso. Bei bestimmten Leuten weiß man einfach, wozu sie da sind, ganz gleich, wie sie sich verkleidet haben.‹ Das Bett ist der einzige Ort, an dem Faunia irgendeine Art von Scharfsinn zeigt, Nathan. Im Bett spielt eine spontane körperliche Scharfsinnigkeit die erste Hauptrolle - die zweite Hauptrolle spielt die grenzüberschreitende Kühnheit. Im Bett entgeht Faunias Aufmerksamkeit nichts. Ihr Körper hat Augen. Ihr Körper sieht alles. Im Bett ist sie ein kraftvolles, intensives, gesammeltes Wesen, das Genuss dabei empfindet, Grenzen zu überschreiten. Im Bett ist sie ein tiefes Phänomen. Vielleicht verdankt sie diese Gabe dem Missbrauch durch ihren Stiefvater. Aber wenn wir dann hinunter in die Küche gehen und ich ein paar Rühreier brate und wir da sitzen und essen, ist sie ein junges Mädchen. Vielleicht verdankt sie auch das dem Missbrauch. Ich befinde mich in der Gesellschaft eines fahrigen, unkonzentrierten Mädchens mit ausdruckslosen Augen. Es passiert nirgendwo sonst. Aber immer wenn wir essen, passiert es: ich und meine Tochter. Es scheint der Rest Töchterlichkeit zu sein, den sie noch hat. Sie kann nicht gerade auf dem Stuhl sitzen, sie kann keine zwei Sätze sagen, die irgendetwas miteinander zu tun haben. Die ganze scheinbare Nonchalance gegenüber Sex und Tragödien verschwindet, und ich sitze da und würde ihr am liebsten sagen: ›Setz dich gerade hin, nimm den Ärmel meines Bademantels vom Teller, hör mir zu und sieh mich an, wenn du mit mir sprichst, verdammt! ›«
»Und sagen Sie es dann?«
»Erscheint mir nicht ratsam. Nein, ich sage es nicht - nicht solange ich die Intensität dessen, was da ist, bewahren will. Ich denke an die Dose unter ihrem Bett, die Dose mit der Asche, von der sie nicht weiß, was sie damit tun soll, und würde am liebsten sagen: ›Es sind zwei Jahre vergangen. Es ist Zeit, sie zu beerdigen. Wenn du es nicht über dich bringst, sie zu vergraben, dann geh zur Brücke und streue sie in den Fluss. Lass sie davonschwimmen. Lass sie gehen. Ich komme mit. Wir werden es gemeinsam tun.‹ Aber ich bin nicht der Vater dieser Tochter - das ist nicht meine Rolle. Ich bin nicht ihr Professor. Ich bin überhaupt kein Professor mehr. Was das Unterrichten, Korrigieren, Beraten, Prüfen und Belehren von Menschen betrifft, befinde ich mich im Ruhestand. Ich bin ein einundsiebzigjähriger Mann mit einer vierunddreißigjährigen Geliebten und
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