Der menschliche Makel
ein. Sie sind hier, weil ich wieder lebendig bin. Weil ich wieder in den Wirbelsturm eingetaucht bin. Weil das alles so ist, wie es ist, und zwar mit großer Istheit. Ich werde nicht mit ihr Schluss machen, Nathan. Ich habe angefangen, sie Voluptas zu nennen.«
Infolge einer Operation zur Entfernung der Prostata, der ich mich vor mehreren Jahren unterziehen musste - einer Krebsoperation, die, obgleich erfolgreich, wegen der Narbenbildung und der Schädigung der Nerven nicht ohne die bei solchen Eingriffen beinahe unvermeidlichen Nachwirkungen war -, bin ich inkontinent, und so entfernte ich, kaum dass ich von Coleman zurück war, die Watteeinlage, die ich Tag und Nacht trage und die im Schritt meiner Unterhose liegt wie ein Hotdog in einem Brötchen. Weil es ein warmer Abend gewesen war und ich nicht vorgehabt hatte, in der Öffentlichkeit aufzutreten oder an einem gesellschaftlichen Ereignis teilzunehmen, hatte ich nicht die mit einer Plastikfolie versehene Einlage genommen, sondern eine normale Watteeinlage, und infolgedessen war der Urin in den Stoff meiner Kakihose gesickert. Zu Hause stellte ich fest, dass sich die Hose dunkel verfärbt hatte und ich einen leisen Geruch verströmte - die Watte der Einlagen ist zwar entsprechend behandelt, doch der Geruch war unzweifelhaft da. Coleman und seine Geschichte hatten meine Aufmerksamkeit so in Anspruch genommen, dass ich nicht auf mein Äußeres geachtet hatte. Während ich bei ihm war, ein Bier trank, mit ihm tanzte und mich auf die Klarheit, die kalkulierbare Rationalität und anschauliche Klarheit, konzentrierte, mit deren Hilfe er sich mühte, die Beunruhigung, die diese Wendung in seinem Leben ausgelöst hatte, zu dämpfen, war ich kein einziges Mal hinausgegangen, um den Zustand der Einlage zu überprüfen, wie ich es tagsüber normalerweise tue, und so war passiert, was mir jetzt hin und wieder eben passiert.
Nein, ein solches Missgeschick macht mir nicht mehr so zu schaffen wie früher, in den ersten Monaten nach der Operation, als ich verschiedene Methoden, mit diesem Problem umzugehen, ausprobierte und natürlich noch daran gewöhnt war, ein freier und ungebundener, trockener und geruchloser Erwachsener zu sein, der wie andere Erwachsene die elementaren Körperfunktionen beherrschte und sich seit etwa sechzig Jahren keine Gedanken über den Zustand seiner Unterwäsche machen musste. Dennoch ist es mir ein wenig peinlich, wenn die normalen Unannehmlichkeiten, die jetzt Teil meines Lebens sind, ein gewisses Maß überschreiten, und noch immer überkommt mich Verzweiflung, wenn ich daran denke, dass sich an diesem Symptom, das eigentlich ein bestimmendes Merkmal des Kleinkindalters ist, nichts mehr ändern wird.
Die Operation hatte mich außerdem impotent gemacht. Die Tabletten, die im Sommer 1998 auf den Markt gekommen waren und sich innerhalb kurzer Zeit bereits als eine Art Wundermittel erwiesen hatten, das älteren und in sonstiger Hinsicht gesunden Männern wie Coleman wieder zur Potenz verhalf, wirkten bei mir nicht, weil infolge der Operation zahlreiche Nerven geschädigt waren. In einem Fall wie meinem war die Einnahme von Viagra sinnlos, und selbst wenn es nicht so gewesen wäre, hätte ich dieses Mittel wohl nicht genommen.
Ich möchte betonen, dass es nicht die Impotenz war, die mich zu einem zurückgezogenen Leben veranlasst hatte. Ganz im Gegenteil. Ich hatte bereits etwa eineinhalb Jahre in meinem Zweizimmerhäuschen in den Berkshires gelebt und gearbeitet, als ich nach einer Routineuntersuchung eine vorläufige, auf Prostatakrebs lautende Diagnose erhielt und mich, im Anschluss an weitere, eingehendere Untersuchungen, nach Boston begab, um meine Prostata entfernen zu lassen. Ich will damit sagen, dass ich durch diesen Umzug mein Verhältnis zum sexuellen Trieb bewusst verändert hatte, und zwar nicht, weil der Drang oder schließlich auch meine Erektion im Lauf der Zeit schwächer geworden wären, sondern weil mir seine lärmenden Forderungen zu hoch erschienen, weil ich nicht mehr den Esprit, die Kraft, die Geduld, die Fähigkeit zur Selbsttäuschung, die Ironie, den Eifer, den Egoismus, die Spannkraft - oder auch die Zähigkeit, die Gerissenheit, die Falschheit, die Heuchelei, die Doppelzüngigkeit, die erotische Professionalität - aufbrachte, die ich brauchte, um mit der Masse seiner irreführenden und widersprüchlichen Einflüsterungen fertig zu werden. Ich machte mir bewusst, dass der Eingriff lediglich ein Beharren auf einem bereits
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