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Der menschliche Makel

Der menschliche Makel

Titel: Der menschliche Makel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Roth
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beeinträchtigt und hatte daher ein leichtes Aroma, sodass man die Futterpflanzen, die sie je nach Saison fraßen, beinahe schmecken konnte - Futterpflanzen übrigens, die ohne Herbizide, Pestizide und Kunstdünger angebaut wurden -, und sie war reicher an Nährstoffen als die standardisierte Milch der großen Molkereien und wurde darum von Leuten, die ihre Familien lieber mit naturbelassenen anstatt mit verarbeiteten Lebensmitteln ernähren wollten, sehr geschätzt. Die Farm hat viele überzeugte Kunden, besonders unter den vielen Menschen - sowohl Pensionären als auch jungen Familien -, die sich vor dem Umweltschmutz, den Frustrationen und den Erniedrigungen des Lebens in einer großen Stadt hierher geflüchtet haben. In der örtlichen Wochenzeitung stehen immer wieder Leserbriefe von Leuten, die vor Kurzem entdeckt haben, wie viel schöner das Leben rechts und links dieser kleinen, gewundenen Straßen ist, und mit ehrfurchtsvollem Unterton die Milch von Organic Lifestock erwähnen: Sie ist nicht nur ein leckeres Getränk, sondern auch die Verkörperung der angenehmen, erfrischenden ländlichen Reinheit, nach der ihr stadtgeschädigter Idealismus sich sehnt. Wörter wie »Güte« und »Seele« tauchen in diesen Briefen regelmäßig auf, als wäre Organic-Lifestock-Milch nicht nur ein hervorragendes Lebensmittel, sondern auch Bestandteil eines Erlösung verheißenden religiösen Ritus. »Wenn wir Organic-Lifestock-Milch trinken, werden Körper, Geist und Seele als Ganzes gestärkt. Verschiedene Organe unseres Körpers nehmen diese Ganzheit wahr und wissen sie auf eine Weise zu würdigen, die uns vielleicht nicht einmal bewusst ist.« Mit Sätzen wie diesen können sonst durchaus vernünftige Erwachsene, die den Ärger, der sie aus New York oder Hartford oder Boston hierhergetrieben hat, abgeschüttelt haben, ein paar angenehme Minuten am Schreibtisch verbringen und so tun, als wären sie sieben Jahre alt.
    Obwohl Coleman täglich wohl nicht mehr als die halbe Tasse Milch verbrauchte, die er über seine Frühstücksflocken goss, stand er bei Organic Lifestock als Zehn-Liter-Kunde auf der Liste. Deswegen durfte er seine Milch, frisch von der Kuh, persönlich abholen, durfte von der Straße auf den langen Feldweg zur Scheune abbiegen, hineingehen und sich seine Milch aus dem Kühlschrank nehmen. Er hatte sich nicht wegen des Preisvorteils, der Zehn-Liter-Kunden eingeräumt wurde, auf die Liste setzen lassen, sondern weil der Kühlschrank gleich hinter dem Scheunentor stand, nur fünf Meter von der Box entfernt, in der die Kühe zweimal täglich gemolken wurden und wo an bestimmten Tagen um fünf Uhr nachmittags (um diese Zeit fuhr er dorthin) Faunia, frisch von der Arbeit im College, erschien und die Kühe molk.
    Er tat nichts weiter, als ihr bei der Arbeit zuzusehen. Obgleich um diese Zeit nur selten irgendjemand anders dort war, blieb Coleman vor der Box stehen, sodass Faunia ihre Arbeit erledigen konnte, ohne mit ihm reden zu müssen. Oft sagten sie gar nichts, denn Schweigen vergrößerte ihren Genuss. Sie wusste, dass er sie beobachtete, und da er wusste, dass sie es wusste, beobachtete er sie nur um so schärfer - dass sie nicht gleich hier, auf dem Boden, miteinander vögeln konnten, machte gar nichts. Es reichte ihnen, dass sie ohne Zeugen an einem anderen Ort als seinem Bett zusammen waren, es reichte ihnen, dass sie scheinbar nüchtern die unüberwindlichen gesellschaftlichen Schranken, die sie trennten, anerkannten, dass sie die Farmarbeiterin und den Professor im Ruhestand spielten und in ihren Rollen aufgingen: sie die starke, sehnige, vierunddreißigjährige berufstätige Frau, die schweigsame Analphabetin, die typische Landbewohnerin, die energisch zupackte und eben noch mit der Mistgabel auf dem Hof gewesen war, um den Mist zu beseitigen, den die Kühe nach dem morgendlichen Melken hinterlassen hatten, und er der nachdenkliche Einundsiebzigjährige Pensionär, der kultivierte Kenner der klassischen Literatur und umfassend gebildete Intellektuelle, der zwei tote Sprachen beherrschte. Es reichte ihnen, dass sie imstande waren, sich wie zwei Menschen zu betragen, die ganz und gar nichts gemeinsam hatten, und dabei daran denken konnten, dass sie aus diesen unvereinbaren Dingen und aus den menschlichen Widersprüchen, die all diese Kraft erzeugten, eine orgasmische Essenz destillieren konnten. Es reichte ihnen, die Erregung darüber zu spüren, dass sie ein Doppelleben führten.
    Auf den ersten Blick hatte

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