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Der menschliche Makel

Der menschliche Makel

Titel: Der menschliche Makel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Roth
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diese hagere, schlaksige, mit Dreck bespritzte Frau in T-Shirt, kurzen Hosen und Gummistiefeln, die ich an diesem Nachmittag die Kühe melken sah und die Coleman als seine Voluptas bezeichnete, nur wenig, was ungebührliche fleischliche Gelüste hätte wecken können. Die auf dem Gebiet der Fleischlichkeit kompetenter wirkenden Wesen waren die, deren Körper so viel Raum einnahmen: die cremefarbenen Kühe mit schwingenden, balkenartigen Hüften, mit Bäuchen wie Fässern und karikaturhaft unproportionierten, milchprallen Eutern, die unaufgeregten, langsamen, friedfertigen Kühe, jede einzelne eine siebenhundert Kilo schwere, auf die Befriedigung der eigenen Bedürfnisse ausgerichtete Maschine, großäugige Tiere, denen das Fressen aus dem gefüllten Trog, während sie am anderen Ende nicht von einem, zwei oder drei, sondern von vier pulsierenden, unermüdlichen mechanischen Mündern leergesaugt wurden, denen ein also an beiden Enden gleichzeitig erfolgender sinnlicher Stimulus ein voluptuöses Recht war. Jede von ihnen war tief versunken in einer tierischen Existenz, der es zu ihrem Glück an spiritueller Tiefe fehlte: Spritzen und Kauen, Scheißen und Pissen, Grasen und Schlafen - das war ihr ganzer Lebenszweck. Gelegentlich (erklärte Coleman mir) schiebt sich ein mit einem langen Gummihandschuh geschützter Arm in ihr Rektum und entfernt die Scheiße, die sich darin befindet, worauf er die Darmwand abtastet und den anderen Arm leitet, der die Besamungsspritze in die Vagina einführt. Das heißt, sie pflanzen sich fort, ohne die Belästigung durch einen Bullen ertragen zu müssen. Selbst bei diesem Vorgang werden sie gehätschelt, und wenn sie dann das Kalb zur Welt bringen - ein laut Faunia manchmal für alle Beteiligten anrührendes Ereignis -, hilft man ihnen, auch wenn es kalt ist und ein Schneesturm tobt. Wie sie da standen und gemächlich die tropfenden, faserigen Klumpen des wiedergekäuten Futters kauten, waren sie der Inbegriff des Fleischlichen. Nur wenige Kurtisanen hatten ein Leben wie diese Kühe - von berufstätigen Frauen ganz zu schweigen.
    Unter diesen umsorgten Tieren und in der sie umgebenden Aura einer opulenten, erdhaften Verbundenheit mit weiblicher Üppigkeit war es Faunia, die wie ein Tier schuftete, obgleich sie, eingerahmt von den Kühen, wie eines der erbärmlicheren Fliegengewichte der Evolution wirkte. Sie rief sie eine nach der anderen aus dem offenen Unterstand, wo sie auf einer Mischung aus Heu und Fladen ruhten - »Na los, Daisy, mach jetzt keine Zicken. Komm schon, Maggie, ja, so ist es gut. Heb deinen Arsch an, Flossie, sei nicht so faul« -, sie packte sie am Halfter und zog und zerrte sie durch den Matsch und dann über eine Stufe auf den Betonboden des Melkstandes, sie schob diese plumpen Daisys und Maggies zum Trog, bis sie standen, wo sie stehen sollten, maß einer jeden ihre Portion mit Vitaminen gemischten Futters ab, reinigte die Zitzen, desinfizierte sie und molk sie mit ein paar energischen Handbewegungen an, bevor sie die an den Enden der Milchleitungen befestigten Melkbecher anlegte, und hielt dabei nie inne, konzentrierte sich ganz und gar auf jeden Handgriff, war aber, in auffallendem Gegensatz zu der störrischen Fügsamkeit der Kühe, bienenfleißig in ständiger Bewegung, bis die Milch durch die durchsichtige Milchleitung in den Tank aus schimmerndem Edelstahl floss und sie endlich ruhig danebenstehen konnte und nur noch darauf achten musste, dass alles funktionierte und auch die Kuh stillstand. Doch dann kam sie wieder in Bewegung, massierte das Euter, um sicherzugehen, dass die Kuh ausgemolken war, löste die Melkbecher von den Zitzen, schüttete, nachdem sie die Kuh losgebunden hatte, das Futter für die nächste in den Trog, trug den Sack mit dem Körnerfutter zum zweiten Melkstand, nahm dann in diesem beengten Raum das Halfter der gemolkenen Kuh, manövrierte sie mit einem Klaps hinaus, drückte mit der Schulter gegen den riesigen Rumpf, wobei sie kommandierte: »Jetzt komm schon, geh raus, geh schon raus ...«, und führte sie durch den Matsch zurück zum Unterstand.
    Faunia Farley: dünne Beine, dünne Arme, dünne Handgelenke, Rippen, die sich abzeichneten, und Schulterblätter, die hervortraten, doch wenn sie sich anspannte, sah man, dass sie Kraft besaß; wenn sie sich nach etwas reckte, sah man, dass ihre Brüste erstaunlich voll waren; und wenn sie die Fliegen und Bremsen, die die Herde an diesem drückenden Sommertag umsummten, von Hals und Rücken

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