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Der menschliche Makel

Der menschliche Makel

Titel: Der menschliche Makel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Roth
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unterrichten, haben sie gegen den Krieg demonstriert, und das ist der Dank dafür, dass er seinem Land gedient hat. Das ist der Dank für die Scheiße, durch die er tagein, tagaus kriechen musste. Er kann keine verdammte Nacht richtig schlafen. In sechsundzwanzig Jahren hat er keine verdammte Nacht richtig geschlafen. Und dafür, dafür lutscht seine Frau einem windigen jüdischen Professor den Schwanz? Soweit er sich erinnert, waren nicht viele Juden in Vietnam. Die waren zu sehr damit beschäftigt, an ihrem Collegeabschluss zu basteln. Judensäue. Irgendwas stimmt nicht mit diesen Judensäuen. Die sehen irgendwie falsch aus. Und sie lutscht seinen Schwanz? Gott im Himmel! Zum Kotzen, Mann. Wofür das alles? Sie hat ja keine Ahnung. Sie hat nicht einen einzigen wirklich beschissenen Tag erlebt. Er hat ihr nie was getan, und den Kindern hat er auch nie was getan. »Ach, mein Stiefvater war so gemein zu mir.« Ihr Stiefvater hat sie befingert. Er hätte sie vögeln sollen - das hätte ihr gutgetan. Dann wären die Kinder heute noch am Leben. Dann wären seine Kinder noch am Leben! Dann wäre er wie die anderen, mit ihren Familien und ihren schönen Autos. Anstatt in einer verdammten VA-Klinik eingesperrt zu sein. Das war der Dank, den er gekriegt hat: Thorazin. Das Thorazinschlurfen. Bloß weil er gedacht hat, er wäre wieder in Nam.
    Das war der Lester Farley, der brüllend aus dem Gebüsch gestürmt kam. Das war der Mann, der aus dem dunklen Gebüsch neben dem Haus auf Coleman und Faunia zustürmte, als sie in der geöffneten Küchentür standen. Und das alles war nur ein Bruchteil von dem, was ihm Nacht für Nacht durch den Kopf gegangen war, den ganzen Frühling hindurch bis jetzt, im Frühsommer, wenn er sich stundenlang, mit verkrampften Muskeln, im Gebüsch versteckt und all diese Gefühle durchlebt hatte und in seinem Versteck gewartet hatte, um zu sehen, wie sie es tat. Wie sie tat, was sie getan hatte, als ihre beiden Kinder im Rauch erstickt waren. Diesmal trieb sie es nicht mal mit einem Kerl in ihrem Alter. Er war nicht mal in Farleys Alter. Diesmal trieb sie es nicht mit ihrem Boss, dem großen amerikanischen Sportsmann Hollenbeck. Hollenbeck hatte ihr wenigstens was geben können. Für Hollenbeck hatte man sie fast respektieren können. Nein, die Frau war jetzt so hinüber, dass sie es umsonst mit irgendeinem beliebigen Kerl trieb. Mit einem grauhaarigen, klapprigen alten Mann, mit einem aufgeblasenen jüdischen Professor, dessen gelbliche Judenvisage sich vor Lust verzerrte und dessen zittrige alte
    Hände ihren Kopf packten. Wer sonst hatte eine Frau, die einem alten Juden den Schwanz lutschte? Wer sonst? Diesmal pumpte diese geile, kindermordende, stöhnende Hure sich den wässrigen Saft eines ekelhaften alten Juden in ihren Hurenmund, und Rawley und Les junior waren immer noch tot.
    Der Ausgleich. Es hörte einfach nicht auf.
    Es war wie fliegen, es war wie Nam, es war wie der Augenblick, in dem man ausrastet. Noch verrückter plötzlich, nicht weil sie die Kinder auf dem Gewissen hatte, sondern weil sie diesem Juden den Schwanz lutschte, flog Farley brüllend auf die beiden zu, und der jüdische Professor brüllte zurück, der jüdische Professor hob ein Montiereisen, und nur weil Farley unbewaffnet war - an diesem Abend war er direkt von der Feuerwehrübung hergekommen, ohne ein einziges der Gewehre aus seinem Keller voller Gewehre -, schoss er sie nicht über den Haufen. Warum er nicht nach dem Montiereisen gegriffen, es dem anderen entwunden und allem ein Ende gemacht hatte, würde er nie verstehen. Wunderbar, was er mit dem Ding hätte machen können. »Leg das hin! Ich schlag dir den verdammten Schädel ein! Leg das Scheißding hin!« Und der Jude legte es hin. Der Jude hatte Glück: Er legte das Ding hin.
    Nachdem er dann nach Hause gefahren war (wie er das hingekriegt hatte, würde er ebenfalls nie verstehen), durchlebte Lester bis in die frühen Morgenstunden - wo es dann fünf Mann brauchte, fünf Kumpel von der freiwilligen Feuerwehr, um ihn festzuhalten und auf eine Bahre zu schnallen und nach Northampton zu fahren - alles noch einmal, alles auf einmal, in seinem eigenen Haus, auf dem Linoleumboden neben dem Küchentisch: die Hitze, den Regen, den Schlamm, die Riesenameisen, die Killerbienen, Durchfall, Kopfschmerzen, kein Essen, kein Wasser, die Munition wird knapp, und er ist sicher, dass das hier seine letzte Nacht ist, und wartet darauf, dass es passiert, Foster tritt auf die

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