Der menschliche Makel
die in einem Viertagebodenkrieg ein bisschen Sand in die Augen bekommen hatten. In einem Hundertstundenkrieg. Ein bisschen Herumsitzen in der Wüste. Die Vietnamveteranen waren Männer, die nach dem Krieg das Schlimmste durchgemacht hatten - Scheidung, Alkohol, Drogen, Verbrechen, Polizei, Gefängnis, die schrecklichen Tiefen der Depression, wenn man das Weinen nicht mehr kontrollieren kann, wenn man schreien, etwas zerstören will, wenn die Hände zittern und der Körper zuckt, wenn das Gesicht angespannt ist und einem von Kopf bis Fuß der Schweiß ausbricht, wenn man wieder Metall durch die Luft fliegen sieht, blendende Explosionen, abgetrennte Gliedmaßen, wenn man massakrierte Gefangene sieht, massakrierte Familien, alte Frauen und Kinder -, und darum waren diese Männer, auch wenn sie bei der Geschichte von Rawley und dem kleinen Les nickten und Verständnis dafür hatten, dass Farley kein Gefühl für sie empfand, als er sah, dass ihre Augen nach hinten verdreht waren, weil er selbst bereits tot war, darum waren diese Männer, diese wirklich kranken Männer (in jenen seltenen Augenblicken, in denen einer von ihnen imstande war, sich mit einem anderen zu befassen, der ebenfalls durch die Straßen ging, drauf und dran, auszurasten und »Warum?« in den Himmel zu schreien, mit einem anderen, dem ebenfalls niemand den Respekt entgegenbrachte, der ihm zustand, mit einem anderen, der ebenfalls erst erlöst sein würde, wenn er tot und begraben und vergessen war), darum waren diese Männer der Meinung, Farley solle diese Sache hinter sich lassen und sein Leben in die Hand nehmen.
Sein Leben in die Hand nehmen. Er weiß, dass es Scheiße ist, aber etwas anderes hat er nicht. Sein Leben in die Hand nehmen. Okay.
Er war dazu entschlossen, als er Ende August aus der Klinik entlassen wurde. Und mit der Hilfe einer Selbsthilfegruppe und insbesondere eines Typen, der am Stock ging und Louie Borrero hieß, schaffte er es wenigstens halbwegs; es war hart, aber mit Louies Hilfe kam er mehr oder weniger zurecht und bekam sein Leben beinahe drei ganze Monate lang, bis in den November hinein, auf die Reihe. Aber dann - und zwar nicht, weil irgend jemand irgend etwas zu ihm gesagt hatte oder weil er irgend etwas im Fernsehen gesehen hatte oder weil wieder einmal ein Thanksgiving ohne Familie näherrückte, sondern weil es für ihn keine Alternative gab, weil es keine Möglichkeit gab zu verhindern, dass die Vergangenheit sich wieder höher und höher vor ihm auftürmte und Taten verlangte, eine gewaltige Reaktion forderte -, dann lag das alles nicht mehr hinter ihm, sondern wieder vor ihm.
Und abermals war das sein Leben
2
Abducken
Als Coleman am nächsten Tag nach Athena fuhr, um sich zu erkundigen, was er dagegen unternehmen könne, um Farley ein für alle Mal daran zu hindern, sein Grundstück zu betreten, gab ihm sein Rechtsanwalt Nelson Primus einen Rat, den er nicht hören wollte: er solle in Erwägung ziehen, sein Verhältnis mit Faunia zu beenden. Coleman hatte Primus erstmals zu Beginn der Affäre um die dunklen Gestalten konsultiert, und da Primus ihn fundiert beraten hatte - und weil der junge Anwalt nicht nur eine gewisse vorwitzige Unverblümtheit an den Tag legte, die ihn an sich selbst in Primus' Alter erinnerte, sondern auch keine Anstalten machte, seine Abneigung gegen Sentimentalitäten, die nichts zur Sache taten, hinter der kumpelhaften Lockerheit zu verbergen, die die anderen Rechtsanwälte des Städtchens kennzeichnete -, war er auch mit Delphine Roux' Brief zu ihm gegangen.
Primus war Anfang Dreißig, verheiratet mit einer jungen Philosophieprofessorin, die Coleman vier Jahre zuvor eingestellt hatte, und Vater zweier kleiner Kinder. In einer neuenglischen Universitätsstadt wie Athena, wo fast alle Selbstständigen ihrer Arbeit in geschmackvoll rustikaler Kleidung nachgingen, betrat dieser geschmeidig gut aussehende junge Mann mit den rabenschwarzen Haaren, groß, schlank, athletisch, seine Kanzlei jeden Morgen in eleganten Maßanzügen, auf Hochglanz polierten schwarzen Schuhen und gestärkten weißen Hemden mit diskret eingesticktem Monogramm, einer Aufmachung, die nicht nur ein starkes Selbstbewusstsein und ein Gefühl persönlicher Bedeutung verriet, sondern auch einen Widerwillen gegen jede Art von Nachlässigkeit, und außerdem darauf schließen ließ, dass Nelson Primus mehr wollte als eine Kanzlei über Talbots Geschäft gegenüber der Grünanlage. Seine Frau war hier Professorin, also
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