Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der menschliche Makel

Der menschliche Makel

Titel: Der menschliche Makel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Roth
Vom Netzwerk:
arbeitete er hier. Aber nicht für lange. Ein junger Panther mit Manschettenknöpfen und Nadelstreifen - ein Panther auf dem Sprung.
    »Ich habe keinen Zweifel daran, dass Farley ein Psychopath ist«, sagte Primus. Er sprach die Worte mit stakkatohafter Präzision und ließ Coleman dabei nicht aus den Augen. »Wenn er um mich herumschleichen würde, wäre ich ernstlich besorgt. Aber ist er um Sie herumgeschlichen, bevor Sie ein Verhältnis mit seiner Exfrau angefangen haben? Damals wusste er nicht mal, dass Sie existierten. Der Brief von dieser Roux ist etwas ganz anderes. Sie wollten, dass ich ihr einen Brief schreibe - wider bessere Einsicht habe ich das getan. Sie wollten einen Schriftexperten konsultieren - wider bessere Einsicht habe ich Ihnen einen vermittelt. Sie wollten, dass ich das Gutachten dieses Experten an ihren Anwalt schicke - wider bessere Einsicht habe ich es ihm zugeschickt. Obwohl ich mir wünschte, Sie hätten die Größe, ein läppisches Ärgernis als das zu behandeln, was es ist, habe ich alles getan, was Sie mir aufgetragen haben. Aber Lester Farley ist kein läppisches Ärgernis. Delphine Roux kann ihm nicht das Wasser reichen, weder als Psychopathin noch als Gegnerin. Farley ist die Welt, die Faunia nur mit knapper Not überlebt hat und die sie zwangsläufig mitbringt, wenn sie durch Ihre Tür tritt. Lester Farley arbeitet beim Straßenbau, stimmt's? Wenn wir eine einstweilige Verfügung gegen ihn beantragen, wird sehr bald Ihr ganzes friedliches Provinzstädtchen Ihr Geheimnis kennen. Und wenig später wird dieses Städtchen Ihr Geheimnis kennen, und dann das College - und Ihre jetzige Situation ist nichts im Vergleich zu dem bösartigen Puritanismus, der Ihnen entgegenschlägt, wenn man Sie teert und federt. Ich weiß noch, mit welcher Präzision das hiesige wöchentliche Käseblatt den lachhaften Vorwurf gegen Sie und die Beweggründe für Ihren Rücktritt missverstanden hat. ›Rassismusvorwurf zwingt Exdekan zum Rücktritt.‹ Ich erinnere mich auch an die Bildunterschrift: ›Eine herabsetzende Bemerkung im Seminar beendet Professor Silks akademische Karriere.‹ Ich weiß noch, wie es damals für Sie war, ich glaube zu wissen, wie es jetzt für Sie ist, und ich kann mir ziemlich genau vorstellen, wie es für Sie sein wird, wenn der ganze Landkreis über die sexuellen Eskapaden des Mannes informiert ist, den ein Rassismusvorwurf zum Rücktritt gezwungen hat. Ich will damit nicht sagen, dass das, was sich hinter Ihrer Schlafzimmertür abspielt, irgendjemanden außer Ihnen etwas angeht. Ich weiß, dass es nicht so sein sollte. Immerhin leben wir im Jahr 1998. Es ist schon eine Weile her, seit Janis Joplin und Norman O. Brown die Dinge zum Besseren verändert haben. Aber wir haben hier in den Berkshires Leute - Hinterwäldler oder Collegeprofessoren -, die sich einfach weigern, ihre Wertvorstellungen zu revidieren und der sexuellen Revolution freundlich freie Bahn zu gewähren. Es gibt engstirnige Kirchgänger, Schicklichkeitsfanatiker und alle möglichen rückständigen Spießer, die nur darauf warten, einen Mann wie Sie bloßzustellen und zu bestrafen. Die können Sie ins Schwitzen bringen, Coleman - allerdings auf andere Art als Ihr Viagra.«
    Schlauer Junge - so ganz aus eigenen Überlegungen heraus auf Viagra zu kommen. Ein bisschen selbstgefällig, aber bis jetzt war er sehr hilfreich, dachte Coleman, also unterbrich ihn nicht, verpass ihm keinen Dämpfer, ganz gleich, wie irritierend er darauf hinweist, was für ein kluger Kopf er ist. Gibt es keine Lücke des Mitleids in seinem Panzer? Soll mir recht sein. Du hast ihn um Rat gefragt, also hör ihn dir auch an. Du willst doch keinen Fehler machen, nur weil du dich nicht hast warnen lassen.
    »Ich kann natürlich eine einstweilige Verfügung bekommen«, fuhr Primus fort. »Aber wird ihn das von irgendetwas abhalten? Eine einstweilige Verfügung wird ihn erst richtig in Rage bringen. Ich hab Ihnen einen Schriftexperten verschafft, und ich kann Ihnen auch eine einstweilige Verfügung und eine kugelsichere Weste verschaffen. Was ich Ihnen nicht verschaffen kann, ist etwas, was Sie nie haben werden, solange Sie ein Verhältnis mit dieser Frau haben: ein Leben ohne Skandal, ohne Missbilligung, ohne Farley. Den Frieden, der daher rührt, dass niemand um Ihr Haus schleicht. Oder sich über Sie lustig macht. Oder abfällige Bemerkungen macht. Oder Sie verurteilt. Ist sie übrigens HIV-negativ? Haben Sie sie einen Test machen lassen,

Weitere Kostenlose Bücher