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Der menschliche Makel

Der menschliche Makel

Titel: Der menschliche Makel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Roth
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könnte mich noch mal mit einem Jab erwischen.«
    »Ach, Coleman«, sagte seine Mutter, »was ich da höre, gefällt mir gar nicht.«
    Er stand auf, um es ihr vorzuführen. »Pass auf: Er war langsam, siehst du? Ich hab gesehen, dass sein Jab langsam war und dass ich ihm ausweichen konnte. Es war nichts, was mir ernsthaft gefährlich werden konnte, Mom. Ich hab bloß gedacht: Wenn er das noch mal probiert, weiche ich aus und geb ihm eins mit der Rechten. Und als er dann wieder damit kam, konnte ich den Jab schon im Ansatz sehen, weil er so langsam war, und darum konnte ich ausweichen und ihn mit einem Konter erwischen. Ich hab ihn nicht auf die Bretter gelegt, weil ich wütend war, Mom. Ich hab ihn auf die Bretter gelegt, weil ich besser boxe.«
    »Aber diese Jungen aus Newark, gegen die du antrittst. Sie sind so ganz anders als deine Freunde.« Sie nannte, mit Herzlichkeit in der Stimme, die Namen von zwei anderen höchst wohlerzogenen, intelligenten schwarzen Jungen in seinem Jahrgang an der East Orange Highschool, die tatsächlich seine Freunde waren und mit denen er zu Mittag aß und in der Schule oft zusammen war. »Ich sehe diese Jungen aus Newark oft auf der Straße«, sagte sie. »Das sind hartgesottene Burschen. Leichtathletik ist soviel zivilisierter als Boxen und entspricht dir soviel mehr, Coleman. Es sieht so gut aus, wenn du läufst.«
    »Es ist ganz egal, wie hartgesotten sie sind oder für wie hartgesotten sie sich halten«, antwortete er. »Das zählt vielleicht auf der Straße, aber nicht im Ring. Auf der Straße könnte einer von denen mich wahrscheinlich fertigmachen - aber im Ring? Mit Regeln? Mit Handschuhen? Niemals. Er könnte keinen einzigen Schlag landen.«
    »Aber was ist, wenn einer einen Schlag landet? Das tut doch weh. Diese Wucht. Das muss doch wehtun. Und es ist so gefährlich. Denk an deinen Kopf. An dein Gehirn .«
    »Man muss mit dem Schlag mitgehen, Mom. Das lernt man. Man lernt, den Kopf mitzudrehen - so. Und das mildert die Wucht. Einmal, nur einmal, und nur weil ich blöd war und einen blöden Fehler gemacht hab und es nicht gewöhnt war, gegen einen Rechtsausleger zu boxen, war ich nach einem Treffer des anderen ein bisschen benommen. Aber das ist bloß so, wie wenn man sich den Kopf gestoßen hat: Dann ist einem schwindlig, und man fühlt sich ein bisschen wacklig. Aber plötzlich ist der Körper wieder da. Man muss nur klammern oder auf Distanz gehen, und dann wird der Kopf auch wieder klar. Manchmal, wenn man einen auf die Nase kriegt, treten einem die Tränen in die Augen, aber das ist auch schon alles. Wenn man weiß, was man tun muss, ist es überhaupt nicht gefährlich.«
    Das reichte seinem Vater - er hatte genug gehört. »Ich habe gesehen, wie Männer Schläge einstecken mussten, die sie nicht kommen sahen. Und wenn das geschieht«, sagte Mr. Silk, »treten ihnen keine Tränen in die Augen - wenn das geschieht, gehen sie k. o. Sogar Joe Louis ist, wie du dich erinnern wirst, k. o. gegangen, oder nicht? Habe ich unrecht? Und wenn Joe Louis k. o. gehen kann, Coleman, kann dir dasselbe passieren.«
    »Ja, Dad, aber beim ersten Kampf gegen Louis hat Schmeling einen schwachen Punkt gesehen. Und der war, dass Louis, wenn er einen Jab geschlagen hatte, nicht zurückging« - der Junge war wieder aufgestanden, um es seinen Eltern zu demonstrieren -, »sondern die Linke ein bisschen herunternahm - seht ihr? -, und diese Lücke in der Deckung hat Schmeling ausgenutzt - seht ihr, so -, und dadurch hat er ihn erwischt. Es passiert alles im Kopf. Wirklich. Alles. Ich schwör's dir, Dad.«
    »Sag das nicht. Sag nicht: ›Ich schwör's dir.‹«
    »Gut, ich sag's nicht. Aber sieh mal, wenn er nicht zurückgeht und sich deckt, sondern die Hand so hält, dann kommt der andere mit seiner Rechten durch, und irgendwann erwischt er ihn. Und so ist es beim ersten Kampf passiert. Genau so ist es passiert.«
    Doch Mr. Silk hatte viele Kämpfe gesehen. In der Armee hatte er Kämpfe zwischen Soldaten gesehen, die abends für die Mannschaftsränge veranstaltet worden waren und bei denen der Verlierer nicht bloß k. o. gegangen war wie Joe Louis, sondern so üble Schläge hatte einstecken müssen, dass die Blutungen durch nichts zu stillen gewesen waren. In seiner Kaserne hatte er farbige Boxkämpfer gesehen, die hauptsächlich ihren Kopf als Waffe eingesetzt hatten und einen Handschuh am Kopf hätten tragen sollen - unverbesserliche Schläger von der Straße, dumme Männer, die immer und immer

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