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Der Messingmann

Der Messingmann

Titel: Der Messingmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Asher
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Fußboden zusammentraf, war nicht sichtbar, denn ein VR-Projektor schuf die Illusion, dass es weder Decke noch Wände gab und er vielmehr auf eine Plattform hinaustrat, die zum Vakuum hin offen stand. Diese Plattform schien von einer niedrigen Mauer umgeben, um den Unachtsamen vor einem Schritt in den Abgrund zu schützen. Nirgendwo fand man hier Instrumente, die ein Mensch hätte bedienen können, und sie wurden auch nicht gebraucht, obwohl Jack mühelos eine virtuelle Konsole hätte ausfahren können. Im Zentrum der Plattform fand man das vor, was Cormac inzwischen insgeheim als Salon bezeichnete.
    Unter einem frei schwebenden Kristallkronleuchter, der womöglich nur eine Projektion des realen Gegenstücks war, fanden sich Klubsessel, eine Bar, ein Couchtisch und sonstige Hilfsmittel der Behaglichkeit aus der Zeit vor der Jahrtausendwende, arrangiert auf einem großen Teppich, an dessen Ecken unpassenderweise viktorianische gusseiserne Straßenlampen standen und ein weiches Gaslicht verbreiteten. All das waren Stücke aus Jacks Sammlung, allesamt Nachbildungen bis fast hinunter auf die Molekularebene. Jetzt stellte Cormac fest, dass die KI daneben noch etwas aufgebaut hatte.
    »Dient auch das meiner Behaglichkeit?«, erkundigte sich Cormac.
    Das Holzschafott ragte vor den Sternen auf, zweifellos in jedem Detail perfekt, mechanisch solide, die Falltür geölt.
    »Es steht hier, weil es mir ästhetisch gefällig erscheint«, setzte ihm Jack auseinander.
    Cormac drehte sich zur örtlichen Quelle für die Stimme der KI um.
    Der in einem der Klubsessel sitzende Henker sah aus wie ein Manager oder Börsenmakler aus irgendwann vor dem einundzwanzigsten Jahrhundert. Sein altertümlicher Nadelstreifenanzug saß eng am schmalen Körper, und das Gesicht wirkte weiß und knochig. Den Rand der Melone, die er niemals absetzte, hatte er tief in die Stirn gezogen, sodass seine Augen im Schatten lagen und die Brillengläser insektenhaft glitzerten, wann immer sich das Licht in ihnen spiegelte. Die prallvolle Aktentasche, die zweifellos Hinrichtungsbefehle und einen zusammengerollten Strick barg, stand neben dem Sessel. Cormac vermutete, dass der Mann Kniestrumpfhalter und eine Unterhose mit Eingriff anhatte - schließlich war jedes Detail des Henkers präzise ausgearbeitet, genau wie der Verstand, den dieser alte Automat repräsentierte.
    »Deine Vorstellung von Ästhetik kann einen leicht beunruhigen«, stellte Cormac fest. »Wenn ich das richtig sehe, ist das nicht irgendein beliebiger alter Galgen.«
    »Nein«, sagte Jack, »es ist der aus Nürnberg.«
    Cormac blieb still, während er sich Zeit nahm, das zu verdauen. Dass diese KI als Avatar einen Automaten benutzte, der einer Epoche von vor zweihundert Jahren angehörte, und keine holografische Projektion, das war eine weitere ihrer seltsamen Facetten. Immerhin war Cormac das noch lieber als Jacks Vorliebe für Hinrichtungsgeräte. Als Cormac auf den Salonteppich trat, entschied er, das Thema lieber fallen zu lassen, und fragte stattdessen: »Wie lange brauchen wir bis zu dem Asteroiden?« »Zehn Minuten.« Begleitet von klickenden Geräuschen seiner Zahnräder und Hebel stand Jack auf und wandte sich Cormac zu. »Da es eine dringliche Aufgabe ist, werde ich in den Subraum übertreten.«
    Cormac spazierte über den Teppich und weiter über den schwarzen Glasboden zum Bug der Jack Ketek. Dort blickte er über die vorgespiegelte Steinmauer hinweg ins Vakuum. Von rechts unten her wärmte die Sonne sein Gesicht, als blickte er über eine Mauer, vor der ein fröhliches Feuer prasselte. Da das Sonnenlicht gefiltert wurde, konnte er direkt hineinblicken und verfolgen, wie aus den gewaltigen infernalischen Schichten des Gestirns ein Feuerlasso hinauspeitschte, das ganze Planeten hätte verschlingen können. Links von Cormac schwang sich der Asteroidengürtel nach oben und verschwand in der Ferne; er erschien Cormac wie eine Sammlung Artefakte, zu ordentlichen Ringen geformt von größeren Brocken, den Überresten der Planeten dieses Systems, die von irgendeiner Katastrophe, welcher Art auch immer, zerstört worden waren. Jetzt ging die virtuelle Bilddarstellung in eine unendliche graue Tiefe über, und Cormac spürte den Wechsel ins Unaussprechliche, als das Schiff in den Subraum fiel. Ihm war klar, dass er jetzt eine Wiedergabe sah, die noch weniger in der Wirklichkeit gründete als die vorangegangene. Kein Mensch konnte den Subraum ohne jede dazwischengeschaltete Abschirmung

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