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Der Messingmann

Der Messingmann

Titel: Der Messingmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Asher
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säuberte sie zugleich auch von organischem Schmutz und Mineralen - von allem, was dort nicht hingehörte. Nach Entfernung dieses Schmutzes fand er sämtliche wichtigen Nervenbahnen, kühlenden Nanoröhren und supraleitenden Stromdrähte, und er stellte sie alle räumlich wieder richtig ein. Durch die verminderten Belastungen im Kristall hatte sich eine gewisse Verzerrung
    eingestellt, und so schuf er die Belastungsstruktur neu. Die beiden Gesichter, wieder zusammengezogen durch die Van-der-Waals-Kraft der atomaren Anziehung, knallten aufeinander zu, als wären sie durch Gummibänder auf Distanz gehalten worden, und Skellor konnte die Fasern gerade noch zurückziehen, damit sie nicht dazwischen-gerieten und zermalmt wurden. Zwei der Fragmente waren wieder zu einem geworden, und er nahm jetzt das albtraumhafte Murmeln dieses Verstandessplitters wahr.
    Einen Augenblick lang konzentrierte sich Skellor wieder auf die Umgebung. Ohne die gleichen Ressourcen, wie sie ihm an Bord der Occam Razor zur Verfügung gestanden hatten, konnte er sein Bewusstsein bei einer solchen Arbeit nicht aufspalten, war sie doch so komplex wie nur irgendetwas, was erje zuvor unternommen hatte. Kurz nahm er Inther zur Kenntnis, der neben ihm nackt auf der Seite lag und verblutete, da Skellor ihm den Arm abgerissen hatte. Marlen muckste sich in der Grube nicht, obwohl Skellor ihn nicht so nachdrücklich unter Kontrolle hatte, dass er ihn daran hätte hindern können, sein Entsetzen zu zeigen. Mr. Cranes Körperhaltung verriet schon wieder vollkommenes Gleichgewicht, denn das entsprechende System lief, als wäre er schon aufs Neue erwacht. Der Menschenarm, den Skellor anstelle des fehlenden Keramalstücks angespleißt hatte, wirkte fehl am Platz an dem wunden Schultergelenk mit den geschwollenen organooptischen Schnittstellen. Im Körperinnern hatte Skellor eine Apparatur montiert, die als Herz, Lunge und Nährstoffversorgung arbeitete und künstliches Blut durch den Arm pumpte. Der Menschenarm würde auf diese Weise vielleicht sechs Monate lang durchhalten, aber Skellor hoffte, dass er ihn gar nicht so lange brauchte. Er wandte sich wieder Mr. Cranes Verstand zu.
    Schnittstelle auf Schnittstelle verknüpften sich, und das Murmeln aus dem Golemverstand wurde für Skellors Wahrnehmung lauter. Er vertiefte sich darin und erlebte Szenen von Mord und Gräueln und fortwährend drohendem Wahnsinn. Recht häufig war Mr. Crane für die Menschen, die ihn zu lenken versuchten, eine ebenso große Gefahr wie für diejenigen, die umzubringen man ihm befahl. Skellor stellte fest, dass Crane zuzeiten direkte Befehle verweigert hatte, wenn das auf Rückerlangung seiner Autonomie gezielte Programm die unmittelbar anstehende Aufgabe unterbrach. Manchmal konnte dieses Programm einen Mordbefehl kurz verdrängen, sodass Crane, statt zu töten, in der Außenwelt bildhafte Wiedergaben der einzelnen virtuellen Fragmente seines Verstandes entdeckte. Statt einen bestimmten Mann zu töten, hatte Crane einmal ein altes Fernglas geklaut. Anstatt einen Mord zu begehen, hatte er einst einen Tenkiandolch an sich genommen. Auch wenn dann jeweils die Befehle der Separatisten wieder griffen, führte Crane den Mordbefehl nicht aus, denn für die deformierte Logik dieses irren Golems hatte sich der Diebstahl in den Mord umgewandelt.
    Als endlich alle physischen Verstandesfragmente wieder vereinigt waren, entschied Skellor, dass die Befehle, die er selbst erteilte, auf keinen Fall verweigert werden durften, also machte er sich an die Aufgabe, jenes Programm zu löschen, das bestrebt war, die virtuellen Fragmente des Golemverstandes wieder zusammenzuführen. Er schaffte es jedoch nicht. Sobald er das Programm zu löschen versuchte, drohte der Verstand, an anderen Stellen auseinander zu brechen und dabei sogar völlig unbrauchbar zu werden. Argerlicherweise hinderte Crane das, was ihn ganz und geistig gesund und selbständig gemacht hätte, auch daran, echtes Vergessen zu finden. Wenn Skellor das Programm entfernte, zerfiel der Verstand. Skellor stellte fest, dass er auch alles löschen und ganz von vorn hätte beginnen können, aber das hätte zum Verlustjenes Mr. Crane geführt, den er haben wollte. Das hätte ihm ästhetisch nicht gefallen. Gottähnliche Kräfte zu besitzen, fand Skellor, hieß auch, dass er die poetische Seite seiner Seele ebenso erfreuen sollte wie die pragmatische Seite.
    Den Verstand zwischen den Händen wie eine Opfergabe an seinen Messinggott, stand Skellor auf

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