Der Messingmann
durchaus möglich, dass die ECS Skellor niemals fand. Aber wie sollte er diese Koordinaten an eine Stelle übermitteln, wo sie von Nutzen sein konnten? Der Golem nahm die Umgebung in Augenschein und startete ein Programm zur Selbstdiagnose. Mal ganz abgesehen von der Tatsache, dass er nur noch einen Arm hatte und in einer Gesteinsblase am Grund eines steilen Hangs steckte, wirkte sich die Hitze des nahen Magmastroms allmählich auf seine Systeme aus. Was den Gedächtnisspeicher anging, da hatte er schon Zweifel, da sich die Kristallmatrix seines Verstandes verzerrte; die Hüftmotoren hatten den Dienst eingestellt, und die des restlichen Arms gingen in den gelben Bereich über. Auch das Sehvermögen schwand. Infrarot war in dieser Lage unbrauchbar, aber er verlor auch das andere Ende des Spektrums. Der eingebaute Radar litt an denselben, von der Kristallschicht ausgehenden Verzerrungen wie der Funk. Abgesehen von diesen beiden inzwischen übel deformierten Systemen verfügte er jetzt nur noch über die Sinne eines Menschen. Er musste sich erneut um eine Verbindung zum Vermessungsschiff bemühen, und dazu musste er höher gelangen.
Cento streckte die Hand nach oben aus und war dankbar, dass die Reste des Wärmeanzugs das Synthofleisch darunter gerettet hatten; es bedeutete, dass ihm wenigstens Tastsinn verblieben war. Er tastete herum und fand eine Spalte - die er prüfte, indem er heftig an den Kanten herumzerrte, um sicherzustellen, dass das Gestein nicht wegbrach. Er schaltete jenen Teil seines Emulationsprogramms ab, der seine Gelenke auf das Menschenmögliche an Bewegung beschränkte. Er plante jeden einzelnen Schritt im Voraus, als er weiter nach oben tastete, die Hand in die Spalte steckte und sich dann mit vollem Schwenkvermögen des Schultergelenks aus der Blase zog wie eine Strandschnecke aus ihrer Schale. Eine Sekunde lang hing er über dem Magma, ehe er sich mit Hilfe von Handgelenk und Ellbogen so weit hinaufzog, dass er dem Knieende des rechten Schenkelknochens im unteren Teil der Spalte festen Halt verschaffen und dann den Rumpf flach an den Hang drücken konnte. Das gelang ihm gerade noch rechtzeitig, ehe ein weiteres Beben ringsherum Steine losrüttelte.
Er behielt den Kopf eingezogen, bis der Steinschlag aufgehört hatte, und blickte auf. Er konnte jetzt sehen, dass die Spalte sich im Winkel den Hang hinaufzog und ihn noch fünf Meter höher bringen konnte. Das Problem war nur, dass er jedes Mal, wenn er die Hand löste, nur noch vom Hüftknochen gehalten wurde und mit dem ganzen Körpergewicht auf das lose Gestein des Hangs drückte. Aber ihm blieb nichts anderes übrig: In dieser Nähe zum Magma würde ihn die Hitze letztlich vernichten. Er drehte sich, zog die Hand zurück, griff höher und rammte sie wieder fest, und wie eine Made zog er sich immer höher, legte jedes Mal eine Pause ein, wenn die Erde bebte, und hielt sich so fest, wie er nur konnte, solange fallende Steine ihn aus seiner Position zu reissen drohten. Fünf Meter.
Hier bemerkte Cento, dass einige seiner Systeme wieder online gingen und die zahlreichen Warnsignale weniger wurden. Ein Blick nach unten verriet ihm, dass eine Krümmung des Abhangs ihn jetzt vor der weißglühenden Hitze abschirmte, und ein prüfender Blick auf die Körpertemperatur zeigte ihm, Jass sie fiel. Unvermittelt sprangen die Hüftgelenkmotoren von neuem an. An dieser Stelle wurde ihm klar, dass er womöglich überleben konnte, solange die Energieversorgung durchhielt, und dass der Verstand sogar darüber hinaus intakt bleiben konnte. Vielleicht sollte er sich in eine so sichere Position begeben wie nur möglich und einfach auf Minimalfunktionen herunterfahren? Cento dachte nur einen Augenblick lang darüber nach, ehe er die Hand aus der Spalte zog und nach oben griff, um loses Gestein wegzufegen und sich einen frischen Handgriff zu suchen. Er war ECS-Mann, und wiewohl er sich als freier Golem zwischen Pflicht und Überleben entscheiden konnte, wählte er die Pflicht.
Endlich entdeckte er einen Felsvorsprung, der ausreichend massiv wirkte, um sein Gewicht zu tragen; er packte ihn und zog sich erneut ein Stück weit hoch, aber es gelang ihm nicht, dabei weit genug zu kommen, um den Schenkelknochen auf diesem Vorsprung abzustützen. Er ließ sich wieder herab, säuberte die Wand von weiteren Steinen und entdeckte eine kleine Mulde direkt unterhalb und etwas seitlich des Vorsprungs. Er zog sich hoch, platzierte das Ende des Schenkelknochens darin - was jetzt
Weitere Kostenlose Bücher