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Der Metzger bricht das Eis

Der Metzger bricht das Eis

Titel: Der Metzger bricht das Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raab
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Übersäuerungserscheinungen aber zeigt nach nur fünfzehn Minuten bergauf Franz Kellner, zwar nicht im Blut, sondern berufs- und folglich alkoholbedingt im Magen, das Resultat ist ein ähnliches.
    »Wir müssen uns teilen!«, erklärt er erstmals an diesem Abend, in der Hoffnung, gemeinsam mit Willibald Adrian Metzger in etwas gemütlicherem Tempo die Nachhut bilden zu können. Eindrucksvoll erhält er den Beweis, dass sie, wie allseits bekannt, zuletzt stirbt, die Hoffnung. Vor der Hoffnung nämlich sterben alle anderen: Keine zwei Meter entfernt zersplittert wie aus dem Nichts der Ast einer Tanne. Nur ein Pfeifen war zu hören, und jeder hier ist sich sicher: Der nächste Treffer sitzt.
    So ändert sich also schlagartig das Tempo, aus dem Eil- wird ein Laufschritt, aus den Fackeln ein kopfüber in den Schnee gestecktes Zischen, aus der Gruppe ein zerstreuter, im Geäst in Deckung gegangener Haufen.
    »Verdammt«, brüllt Laurenz Thuswalder, »da schießt wer auf uns!«
    »Das ist nichts Neues«, erwidert der Metzger einige Meter entfernt.
    »Genau das war nämlich unser Dessert nach deiner freundlichen Bürglalm-Einladung!«, ergänzt Toni Schuster aggressiv, während Kellner Franz direkt hinter ihm die paar Dienstachtel zu viel würgend der Natur übergibt.
    Dann ertönt der nächste dumpfe Knall und dringt der erste Aufschrei durch die Nacht. Agnes Kalcher krümmt sich hinter einer Tanne, stolpert gebückt, beide Hände auf ihren Bauch gepresst, auf den Weg heraus, flüchtet hinter einen Holzstapel in Deckung, und ein einziges durch Mark und Bein gehendes Wort sucht sich Gehör: »Oma, Oma, Oma, Oma, Oma …!«
    Lisl hat sich aus dem Wald herausgelöst. Verzweifelt bricht sie ihr so langes Schweigen, stürmt den Weg hinunter und auf den Holzstapel zu. Erneut ist ein Knall zu hören, sie stolpert kurz, rappelt sich wieder hoch und läuft unbeirrt weiter, auf ihre Großmutter zu.
    Willibald Adrian Metzger erstarrt. Wer auch immer dort im Wald auf der Lauer liegt, schießt sogar auf Kinder. Still ist es geworden, keiner wagt ein weiteres lautes Wort, geschweige denn, sich vom Fleck zu rühren. Zumindest anfangs. Dann aber knackst es im Gehölz. Dass es Toni Schuster an einem nicht mangelt, nämlich an Testosteron, hat er ja schon zur Genüge feststellen dürfen, der Metzger, dass da aber auch noch eine bedenkliche Portion Dummheit mit im Spiel ist, ist ihm allerdings neu.
    Toni Schuster hat die Schnauze voll.
    »Meinetwegen soll er mich abknallen, dieses Schwein, aber Kinder gehen hier keine drauf, das schwör ich dir bei meinem Leben!«, flüstert er wutentbrannt in sich hinein. Franz Kellner ist, wenn es nicht um Mokka, sondern tatsächlich darum geht, Initiative zu ergreifen, ja auch nicht unbedingt zimperlich, dieser Feuerwehrhauptmann Toni Schuster allerdings ist, wahrscheinlich allein schon von Berufs wegen, komplett lebensmüde.
    »Keine Sekunde länger bleib ich hier wie auf dem Präsentierteller hocken und warte, bis es endlich irgendeinen von uns erwischt. Ich brauch dein Handy.«
    Kellner Franz zückt ein schwarzes Lederetui, zieht behutsam das schwarze Pendant zu Sophies weißem Mobilfunk-Heiligtum heraus und erklärt: »Höhenmesser, Hangneigungsmesser, GPS , Knotenguide, SOS -Funktion, alles drauf, was darf es sein?«, will schon zu wischen anfangen und wird panisch gestoppt. Er weiß schon, der Toni, dass diesem Gerät, ähnlich seinem Taschenmesser, eine abenteuerliche Multifunktionalität attestiert wird, was er jetzt jedoch braucht, kann dieses Ding aus dem Stegreif, ohne Downloads und ohne Berührung.
    »Borg’s mir, und dann schau, dass du zum Metzger runterkommst!«
    Kellner Franz zögert: »Borgen, wofür?«
    »Willst du hier lebend rauskommen, ja oder nein? Also her damit!«
    Zögerlich, als ginge es um Kindesentzug, wechselt das Telefon den Besitzer: »Aber pass gut drauf au…!«
    Mehr bringt Franz Kellner als weitere Reaktion nicht zustande, denn Toni Schuster hat sich bereits in Bewegung gesetzt. Energisch springt er hinter den Bäumen hervor, betritt den Weg, was lichttechnisch in Kombination mit seiner blitzgelben Skijacke, einer sternenklaren Nacht und einem Mond, dem das Ende seines zweiten Viertels anzusehen ist, der Bühnenbeleuchtung eines Soloprogramms gleichkommt, und startet durch, hoch konzentriert den Blick auf den Hang gegenüber gerichtet. Und ein Soloprogramm ist es tatsächlich, denn auf Hilfe braucht er erst gar nicht zu hoffen, der Toni Schuster. Im Grunde hat sich im

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