Der Metzger bricht das Eis
zwar morgen früh ganz von allein, ich sag’s aber trotzdem, weil du gar so ein liebes Mädl bist …«
Danjela Djurkovic ist aufgestanden. Unüberhörbar dringt aus der offenen Tür zu Lisls Zimmer ein dumpfes Klopfen, nicht rhythmisch und metallisch, eher hölzern, klanglos, so als würde der Wind einen Ast an die Fassade des Hauses schlagen. Vorsichtig blickt sie durch den Türrahmen in den erhellten Raum. Der Mond wirft sein Leuchten durch die alten doppelten Holzfenster und hinterlässt seltsame, lang gezogene Schatten. Aus jeder der vielen kurzen Stofftiernasen wird ein langer Rüssel, aus dem Rüssel des Elefanten ein gefährlicher Drachenschwanz, aus dem Fensterkreuz ein mächtiger auf den Teppich gemalter Hügel Golgata. Bedrohlich sieht es aus, das Mahnmal des Todes, und genau vom Ursprung dieses Schattenspiels dringt auch das Pochen in den Raum. Danjela Djurkovic tritt in das Zimmer, blickt konzentriert zum Fenster hinaus, dann kann sie es sehen. Zwischen zwei leeren Blumenkisten ragen zwei Hölzer über das äußere Fensterbrett, bewegen sich und erzeugen dieses dumpfe Geräusch. Wie ein leises Klopfen hört es sich an, als wollte jemand sagen: »Kommt, lasst mich herein!« – was auch absolut dem Ansinnen entspricht.
Viel Phantasie braucht sie jetzt nämlich nicht, die Danjela, um sich zu den beiden Hölzern den Rest der dazugehörigen Leiter vorzustellen. Gar keine Phantasie braucht sie, um herauszufinden, wer sich auf Umwegen ins Kalcher-Wohnhaus Zutritt verschaffen möchte. Denn mitten ins Gesicht sieht sie ihm, dem späten Gast. Wäre er schon im Zimmer, sie würde ihn versteckt inmitten der Armee aus Stofftieren gar nicht entdecken mit seinen Fransen. So aber ist alles eindeutig. »Alle Kinder runter! Sophie, kommst du mit Küchenmesser!«, brüllt sie, da hat Laurenz Thuswalder bereits mit seinem Skihandschuh die Scheibe des rechten Außenfenster-Flügels durchbrochen.
Ohne zu zögern, stürmt Danjela Djurkovic auf das Fenster zu, reißt das Innenfenster zu sich ins Zimmer hinein auf, da hat Laurenz Thuswalder bereits seinen Arm durch das gebrochene Außenfenster gefädelt, um es ebenfalls zu öffnen. Fensterscheiben einschlagen kann sie auch, die Danjela, vor allem mit ihrem Oberarmgips samt Daumeneinschluss, und ihren Arm einfädeln kann sie ebenso, ganz wunderbar sogar dank der fixierten 90-Grad-Beuge, und zwar beim ersten durchbrochenen Flügel hinaus und beim zweiten wieder herein. Da kann er ruckeln, was er will, der Laurenz Thuswalder, und mittlerweile blutig vom zerbrochenen Glas ist sein Arm, ganz im Gegenteil zu dem der Danjela. Ein Außenfenster geht eben nach außen auf, und wenn so ein Schwergewicht wie die Djurkovic eine stabile Hartschale um den sich schließenden Rahmen der beiden Fenster schlingt und sich mit vollem Körpereinsatz dagegenlehnt, ist es vorbei mit jedem Besuchswunsch. Ein Fluchen ist zu hören, ein »Ich bring euch alle um!« durchdringt die Nacht, heftig zieht er mit einem Arm am Holzrahmen, während in der anderen Hand eine Pistole zum Vorschein kommt, und Danjela weiß, was zu tun ist.
Ruckartig zieht sie ihren Gips heraus, gibt zuerst die beiden Fensterflügel und schließlich auch Laurenz Thuswalder frei. Zu spät kommt seine Reaktion, mit einer Pistole in der Hand lässt es sich ja auch wirklich schlecht irgendwohin greifen, und weil so ein altes Fenster nicht dazu gedacht ist, einem heftigen Zug von außen standzuhalten, bricht er heraus, der Flügel. Dann fällt sie, die Waffe, zwei Arme rudern in der Luft, zwei Lider spreizen sich auf, bis zwei Pupillen vollständig sichtbar vom Weiß des Augapfels umrandet werden, und zwei Menschen sehen sich an, einer hoffnungslos, der andere voll Hoffnung. Auf und ab schlagend, mit dem Fensterrahmen in der Hand, verliert Laurenz Thuswalder den Kampf gegen die Schwerkraft:
»Is jetzt vielleicht nicht unbedingt richtige Flügel!«, flüstert Danjela Djurkovic hinterher, wartet, bis sie sich der harten Landung auch völlig sicher ist, wartet weiter, da steht bereits Sophie Widhalm neben ihr, bis sie sich auch von der mit einer harten Landung einhergehenden möglichen Bewegungslosigkeit überzeugt hat, dann startet sie los, während Sophie weiter Laurenz Thuswalder im Auge behält, zur Rückseite des Hauses.
Die Pistole ist sofort gefunden, anders geht es Laurenz Thuswalder mit seinem Bewusstsein.
63
Tief geschlafen wurde gerade in Gondel Nummer eins, als in der örtlichen Dienststelle ein einzelner Schuss die
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