Der Metzger bricht das Eis
ausziehen.
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Draußen schneit es, der verstümmelte Engel hat seine hölzernen Finger wieder, der Weihwasserkessel wartet also auf fleischige, und in der Werkstatt wartet neue Arbeit, unter anderem ein, so wurde zumindest behauptet, einst von kaiserlichem Hintern erstberittenes Schaukelpferd.
»Wer’s glaubt, wird selig!«, hätte Willibald Adrian Metzger den Kunden gern wissen lassen und sich dann doch entschieden, der regen Phantasie des betagten Herrn nicht die Flügel zu stutzen.
Was er schon alles hier in der Werkstatt gehabt haben soll, er könnte Bücher schreiben, der Willibald: Spiegelschränke, die majestätischen Häuptern ihr Antlitz zeigten, den Raumteiler eines später zum Papst gewählten Bischofs, den Betschemel des letzten Kaisers, das Kinderbettchen des ersten Bundespräsidenten.
»Wo bleibst du denn!«, tönt es herein in seinen Gewölbekeller.
»Ich komm ja schon!«, ruft er zurück, der Metzger, und dass ihm jetzt die große Freude anzuhören ist, kann nicht behauptet werden.
Gern geht er mit seiner Danjela da jetzt wirklich nicht hin, trotz der anwesenden Lilli. Diesbezüglich braucht er sich allerdings keine Hoffnung zu machen, denn wenn Trixi, Sophie und Danjela versammelt sind, wird die kleine Lilli Matuschek-Pospischill, solange sie nicht völlig selbstständig laufen kann, wohl kaum in seinen Armen landen.
Alle sind sie schon da. Der Hausherr Toni Schuster öffnet die Tür. Groß ist die Wohnung, überraschend gefällig eingerichtet, bis auf die auffällig vielen das Thema »motorbetriebene Fahrzeuge« aufgreifenden Dekorationsgegenstände. Die Versammlung findet im Wohnzimmer statt, dunkles Parkett, darauf ein riesiger weißer Langhaarteppich, ein Königreich für den zum Glück zu Hause gebliebenen Edgar. Daneben ein schwarzes, frei im Raum stehendes Ledersofa, da hätte eine Großfamilie Platz, davor ein gläserner Couchtisch samt liebevoll angerichteten Brötchen. Bis auf die stillende Trixi Matuschek-Pospischill und den antialkoholischen Toni Schuster hat wenig später jeder eine elegant geformte kleine Flasche Bier in der Hand, und das am frühen Nachmittag.
Abstrakte Gemälde schmücken die weißen Wände, über dem schwarzen Sofa prangt eine schwarz bemalte Leinwand mit dem in leuchtend gelben Blockbuchstaben aufgetragenen Schriftzug »Rosi«, dieses Kunstwerk hätte er wahrscheinlich auch zusammengebracht, der Willibald, und genau gegenüber hängt das tischplattengroße Bildnis des wohl mächtigsten, von der größten jemals dagewesenen Zahl an Freiwilligen erwählten und längstregierendsten Diktators dieses Planeten: ein Fernsehapparat. In diesem Fall ein Flachbildschirm. Darum ist man schließlich hier, um im Kollektiv mit Alkohol in der Hand in die Glotze zu starren, früher ganz simpel genannt: gemeinsam Fernsehen, heute bezeichnet als Public-Viewing.
Sich am morgigen Tag zu treffen sähe er ja ein, der Willibald, morgen geht es schließlich um etwas, aber heute? Was soll an einem Abschlusstraining interessant sein, schlimm genug, dass so etwas überhaupt übertragen wird. Dabei weiß er ja noch gar nicht, der Metzger, dass für eine Piste, die in wenigen Augenblicken zum letzten Mal dem alpinen Skizirkus als Manege dient, der Begriff Abschlusstraining gar nicht besser gewählt sein könnte.
Dann siegt sie doch, die televisionäre Anziehungskraft. Ist ja auch irgendwie spannend, den Kalcherwirt auf dem Bildschirm zu sehen, die Bürglalm, die Stelle, an der sie mit ihrem Skiboxbob über die Böschung hinein auf die Schindlgruben gesprungen sind, die Katzentücke, den Zielschuss, immer wieder sieht man Vertrautes, aus der Frontalen, aus der Sicht eines Rennfahrers, aus der Vogelperspektive. Der Reporter erzählt vom zum Glück ausgebliebenen Föhneinbruch, dankt dem Wettergott, schwärmt über die phantastisch präparierte Piste, kein Wort von dem auch heuer möglicherweise dem Schnee, der Natur und somit jeder Lebensform, auch dem Menschen, verabreichten Überdosis Ammonium- und Natriumchlorid. Unübersehbar bringt die Kamera immer wieder dieselben Sponsoren ins Bild, Werbeeinschaltungen mit Bier trinkenden und Tiefkühlkost verzehrenden Skistars sorgen für kurze Unterbrechungen, es folgen Interviews mit diversen bekannten Persönlichkeiten, Berichterstattungen über die dank der Promidichte unzähligen Vergnügungsveranstaltungen, Analysen von Rennen des Vorjahrs, Analysen vom Lauf des Vorjahressiegers, Analysen vom Lauf des Vorjahressiegers im Vergleich zum
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