Der Metzger bricht das Eis
Vater …«
Stefan Thuswalder muss nun lachen, deutlich ist zu sehen, wie aus dem Einschuss im Bauchraum erneut Blut quillt. Heinrich Thuswalder steht auf, holt aus und schlägt seinem Sohn mit der Handfläche ins Gesicht: »Du Ausgeburt der Hölle!«
Stefan Thuswalder lacht erneut: »Spar dir dein Theater. Ich weiß noch, wie du dich über die Unterschrift gefreut hast. Dein: ›Gute Arbeit, Jungs!‹, hab ich heut noch im Ohr. Wie wir das gemacht haben, war dir ja egal, Hauptsache, erfolgreich. Von dir kann man was lernen, das muss ich zugeben: Zuerst vorsätzlich Existenzen ruinieren und dann beim Wiederaufbau helfen, das machen die entwickelten mit den unterentwickelten Ländern so, das machen alle Staaten so, die kriegführenden Ländern Waffen liefern, das machen die großen Banken so, ja, und der alte Thuswalder beherrscht das auch! Oder, Vater? Im Existenzenruinieren sind deine Buben halt ein bisserl effektiver! Und, bist stolz?«
Still ist es im Raum, der Ekel steht jedem der Zuhörer ins Gesicht geschrieben, einzig Lisl Kalchers Blick ist wie eingefroren, eiskalt sieht sie Stefan Thuswalder in die Augen. Ein unsicheres Lachen huscht über sein Gesicht, dann setzt er fort: »Dann ist die Skiarena eröffnet worden, ein riesiges Tamtam, und was schenkt uns der Himmel? Den Wärmeeinbruch. Wir haben uns fast zu Tode präpariert, ein Horror war das, auch weil der Horst natürlich dahintergekommen ist, was da innerhalb von Stunden alles an Chemie im Schnee, also auf seiner läppischen Wiese gelandet ist. Und beim Herumschnüffeln hat er unser Lager entdeckt, die Einkaufslisten, und herausgefunden, dass wir für die top Schneeverhältnisse im Skigebiet, nachdem das Wasser den Speichersee verlassen hat, illegal ein paar verbotene, aus abgetöteten Bakterien hergestellte Proteine unters Wasser mischen, damit sich der Gefrierpunkt erhöht und das Wasser früher friert. Meine Güte, in andern Länder ist das gang und gäbe. Egal, jedenfalls hat der Horstl dem Laurenz damals wutentbrannt angekündigt, zu den Medien zu gehen und die Pacht, die übrigens in diesem Jahr ausläuft, nicht zu verlängern. Da ist uns dann der Kragen platzt, gell, Lisl!«
Unverändert ist Lisl Kalchers Blick, ruhig beginnt sie zu sprechen: »Warst du das?«
»Is doch nix passiert, oder?«
Robert Fischlmeier hat sich erhoben, seine Dienstwaffe gezogen und hält sie Stefan Thuswalder an die Stirn: »Was ist passiert?«
Stefan Thuswalder lacht auf. »Du Idiot, ich sterb grad, was willst du damit. Hock dich wieder hin. Also: Ich hab den Horst so an einen Baum gebunden, dass er schön auf die Straße sieht, hab gewartet, bis die Lisl mit dem Radl vorbeifährt, direkt auf die Kalcher-Kurve zu, also dort, wo schon die Marianne und die Isabella abgsprungen sind, und hab ihn gefragt, wie das so ist für ihn: zu wissen, dass er, nur weil er die erste Pacht nicht unterschrieben hat, schon seine Frau und seine Tochter auf dem Gewissen hat. Dann hab ich ihm zugeflüstert …« Stefan Thuswalder flüstert nun tatsächlich, als wollte er für alle die Spannung heben. »… ›Horst Kalcher‹, hab ich gesagt, ›von nun an wird es für dich und deine ganze Sippschaft, genauso wie grad mit der Lisl, nur noch bergab gehen. Die anderen kommen exakt genauso lange mit dem Leben davon, wie du die Pacht verlängerst und dichthältst. Geht das rein in dein Hirn?‹ Meine Güte, ihr hättet ihn sehn sollen, den Horst, wie er sich gewunden hat, wie er geflennt hat …«
Erneut muss er belustigt abbrechen, und dem Metzger kommt der Gedanke, das, was er hier zu sehen bekommt, könnte es sein: das Böse in Reinkultur. Direkt vor seinen Augen verabschiedet sich der Ansatz, der allem, was Menschen ein Verbrechen verüben lässt, eine psychologische Herkunft, eine Ursache, eine verständliche Erklärung zu geben versucht, sei es ein selbst erfahrenes Leid, eine Kränkung, sei es die missratene Kindheit, Rache oder auch nur die simple Gier. Die Deutung dessen, was er nun vor Augen hat, ist keine Frage der Perspektive, hier hat für den Metzger nur die ganz simple Erklärung Gültigkeit: Stefan Thuswalder hat seine helle Freude am Leid, am Niedergang der anderen.
»… wie er unter dem Klebeband um Hilfe zu rufen probiert hat, der Idiot!«, setzt Stefan Thuswalder fort, »und immer näher bist du der Kurve mit dem gusseisernen Erinnerungskreuz, das die Gemeinde gspendet hat, gekommen, Lisl, näher und näher und näher und …!«, er reißt seine Augen auf, legt
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