Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Metzger bricht das Eis

Der Metzger bricht das Eis

Titel: Der Metzger bricht das Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raab
Vom Netzwerk:
ermattet sitzt der Restaurator nach einigen Durchgängen Werkstatt–Park–Retour auf einem renovierungsbedürftigen Biedermeierstuhl, betrachtet mit Sorge die zu seinen Füßen liegenden Gegenstände, dann besiegen der Respekt gegenüber dem Eigentum einer ihm fremden Person und die Sehnsucht nach seiner Danjela die aufkeimende Neugierde.
    Eine Frau, die jahrelang allein gelebt hat, fackelt nicht lange herum, wenn eine Glühbirne ausfällt. Und weil es an entsprechendem Größenwachstum fehlt, es wie in der Küche auch hier schnell gehen muss und folglich das Hervorkramen der Leiter zu langwierig ist, wird die Steighilfe betreffend improvisiert. Da ist der kleine Edgar natürlich heilfroh, kein Berner Sennenhund geworden zu sein. In Anbetracht des stattfindenden Stegreiftheaters sucht er sicherheitshalber aber trotzdem das Weite. Und recht hat er, denn um vorauszuahnen, dass das mit dem Stehen und Greifen ein Theater werden könnte, wenn zwei zur Rückgabe vorgesehene Bierkisten aufeinandergestapelt und bestiegen werden, muss man kein Hellseher sein. Wobei von hell sehen nicht wirklich die Rede sein kann, denn natürlich hat Danjela Djurkovic zur spannungsfreien Durchführung des Glühbirnenwechsels den Strom abgedreht. So steht sie also, die Arme emporgestreckt, mit einer neuen Glühbirne in der Hand, einer Taschenlampe im Mund und einem unheilvollen Geräusch im Ohr auf ihrem wackeligen Podest. Es ist der eindeutige Klang eines das Schloss der Eingangstür öffnenden Schlüssels, der sie ein vollmundiges »mhmm, mhmmm!« durchs finstere Vorzimmer summen lässt.
    Diesmal sind es nicht die Schuhe, Taschen, Jacken, Regenschirme, die Hundeaccessoires oder gar der Hund selbst, die sich beim Öffnen der Wohnungstür vor Willibald Adrian Metzger auftürmen, diesmal ist es also gleich das ganze für seine Glückseligkeit verantwortliche Gesamtpaket höchstpersönlich – was selbstverständlich nur von der Innenseite der Wohnung aus zu erkennen ist. Von draußen lässt sich lediglich die Tatsache vermerken, dass, warum auch immer, die Tür bereits vor Erreichen des Türstoppers irgendwo anschlägt.
    Das Einzige, was der Metzger, während er seinen Kopf durch den Spalt steckt, noch erkennen kann, ist das besorgniserregend unkoordinierte Blitzen einer Taschenlampe. Dann hört er ein Klirren und schließlich einen weitaus weniger dezenten Folgeton.
    »Klingt ganz nach Leergut!«, ist sein erster Sinneseindruck.
    »Klingt ganz nach Danjela!«, sein zweiter.
    Und froh kann er sein über diesen intakten Gedankengang, denn wäre seine kleine Handwerkerin in die Gegenrichtung gekippt, es blieben in seinem durch den Türspalt gestreckten Kopf von den Sinneseindrücken wohl nur mehr die Eindrücke.
    Besorgt betritt der Metzger die Wohnung. Das Licht des Stiegenaufgangs erhellt nun auch das Vorzimmer und eröffnet ihm ein beunruhigendes Bild. Auf dem Perserteppich ausgebreitet liegt, von Edgar zungentechnisch erstversorgt, Danjela Djurkovic.
    »Ach, Willibald, bin ich so eine blöde Rindvieh. Hilfst du mir auf!« Dabei streckt sie dem Metzger Hilfe suchend ihre Hand entgegen, was diesen nach der ersten leichten Berührung und dem damit verbundenen herzzerreißenden Schrei zur alles erklärende Analyse: »Unfallkrankenhaus. Fahren wir, sofort«, veranlasst. Ein breiter Schal dient zur Fixierung des rechten Armes, ein Taxi als Einsatzfahrzeug, ein besorgter Restaurator als Geleitschutz.
    An dieser Zusammensetzung ändert sich auch bei der Rückkehr vier Stunden später nichts, bis auf die Tatsache natürlich, dass der Schal nun wieder an der für ihn ursprünglich vorgesehenen Stelle zum Einsatz kommt. Ist ja auch wirklich kalt geworden. 22 Uhr, eine sternklare Winternacht, eine in Schnee gehüllte weiße Stadt und ein in denselben Farbton gehüllter rechter Arm. Bestenfalls als Schüler ist so etwas lustig. Natürlich vorausgesetzt, man hat Freunde, denn nichts ist peinlicher als eine von den Fingerspitzen bis zum Schultergelenk reichende Hartschale, und niemand hat unterschrieben, außer vielleicht Mama, Papa und die leibliche Schwester.
    »Hat gesagt Schwester von Gipszimmer, kann dauern bis zu zwölf Wochen. Zwölf Wochen mit diese Klumpen an Körper, wie bitte soll ich aushalten? Fühl ich mich wie Roboter, außerdem juckt mich jetzt schon wie Sonnenallergie«, gibt die Djurkovic einen ersten Einblick in ihre Gemütslage.
    »Das kann ich dir sagen, wie du das aushalten wirst: Erstens voller Dankbarkeit über die Tatsache, dass

Weitere Kostenlose Bücher