Der Metzger bricht das Eis
seiner Träume. In einem pflegeleichten Silber-Metallic, mit getönten Scheiben, Schiebetüren, einer Dachreling zum Transport für Skier oder Fahrräder, notfalls eines Tischtennistisches, steht er geparkt am Straßenrand, der von ihm so ersehnte Familyvan. Die Skier und ein Zweirad hätte er bereits, der Toni, der Rest fehlt: das Geld, der Tischtennistisch und die Family.
»Ach, Poldi!«, ertönt es nun rührig im Innenraum des Totenkopfhelms, und dann, er ist ja auch nur ein Mensch, dann werden ihm zum ersten Mal unterwegs auf seiner Rosi nicht allein vom Fahrtwind ein bisschen die Augen feucht, dem im Grunde seines Herzens so einsamen Toni Schuster.
Zuerst lachen, dass sich innen die Scheibe beschlägt, und schließlich ein wenig die Äuglein benetzen, da ist dann für einen in kurvenbedingter Schräglage verweilenden Zweiradfahrer ein Visier nicht unbedingt nur noch von Vorteil. Kurz sieht er ihn im Schnee leuchten, den ihm so vertrauten weißen Schriftzug auf blauem, orange umrandetem Hintergrund, dann weiß er: Das wird jetzt gleich ganz gewaltig wehtun. In puncto Grip ist so ein zwischen Schneefahrbahn und Gummireifen verirrtes Einkaufsackerl seines Lieblingsdiskonters eben nicht unbedingt das beste Angebot. Trotz eines mit Bravour absolvierten Fahrtechnikkurses rutscht Toni Schuster aus der sportlichen Schräglage in die schmerzhafte Waagrechte und niemals hätte er gedacht, ein Lebensmitteldiskonter könnte ihn eines Tages so teuer zu stehen kommen. Was ihm leidenstechnisch allerdings noch weitaus schwerer zusetzt als der körperliche Schmerz, ist der Phantomschmerz, denn eines weiß er angesichts der Reisebewegung seines herrenlosen Untersatzes mit Sicherheit: Auch die Dellen und Schrammen seiner Rosi werden wehtun, vor allem dem Geldbörsel.
Zügellos schlittert sie in Richtung Straßenrand und landet krachend neben der besetzten Bank einer überdachten Busstation. Wobei Sitzen nicht ganz stimmt, denn das windgeschützte Plätzchen wird an diesem kalten Winterabend als Liegestätte benutzt. Und einen ordentlichen Rausch muss sie sich angetrunken haben, die hier ruhende Person. Einzig eine Doppelliterflasche Rotwein reagiert auf die Erschütterung, fällt zu Boden und verpasst dem Motorrad eine verspätete Taufe.
Vorsichtig bewegt Toni Schuster seine Beine, seine Arme, setzt sich auf, kreist seinen Kopf, erhebt sich, ortet lediglich eine Prellung im Schulterbereich, schickt ein Stoßgebet des Dankes in Richtung Poldi Kratochwill, wendet sich mit der Frage: »Alles in Ordnung mit Ihnen?« der Busstation zu und weiß schließlich: Rettung muss er keine mehr verständigen, nur die Polizei.
Betroffen zückt er das Telefon, zeitgleich setzt sich im Hintergrund langsam der silberne Familyvan in Bewegung, ohne Namenssticker der Sprösslinge auf der Heckscheibe, stattdessen mit einem Kennzeichen, das bei Toni Schuster nur noch einen Gedanken auslöst: »Ich brauch Urlaub, genau dort, dringend!« Genau dort, weil eben nur noch eine Leidenschaft mit der Begeisterung für seine Rosi und das Scrabble mithalten kann: der Skilauf.
12
Vorhin ist Urgroßvater nach Hause gekommen. Er hat gesagt, er geht kurz spazieren, seine kleine Runde hinüber Richtung Blöschl-Bauer. Da haben gerade die Lifte zugesperrt. Und jetzt ist es bald schon Mitternacht.
Wir haben überall angerufen, ihn gesucht, mit Taschenlampen, mit dem Onkel Robert und seinem Hund und mit Ada. Ada hat einfach ein gutes Gespür. Alles findet sie, sogar die kleine Schachtel mit den Ohrringen hat sie in Opas Werkstatt zwischen ihre kleinen Finger bekommen, da war es September, und finden sollen hätte sie die erst im Dezember unterm Christbaum.
»So weit kann der alte Depp doch gar nicht mehr laufen!«, hat der Onkel Robert gebrüllt, da waren wir sicher schon drei Kilometer vom Hof entfernt.
»So weit verlaufen kann er sich aber schon!«, hat Ada gemeint und wollte weitergehen. Durfte sie aber nicht.
»Die Kinder gehören ins Bett, schleunigst, sonst passiert noch was!«, hat Opa gemeint, und wir sind alle zurück, obwohl das ja sein Papa war, den wir gesucht haben.
Um halb zwölf hat es dann unten im Wohnzimmer so fest an die Scheibe gepumpert, dass sie zerbrochen ist. Der ist schon ziemlich hart, der Holzgriff vom Gehstock, mit dem sich unser Urliopa auf den Beinen hält.
Hinunter- und hinausgelaufen sind wir alle, zum Wohnzimmerfenster, und genau unter der zerbrochenen Scheibe ist er dann gesessen, mit einem zerkratzten Gesicht und blutigen
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