Der Metzger bricht das Eis
schildern,
– dass die sogenannte besoffene Leich namens Karl Schrothe der von Willibad Adrian Metzger ausgesprochenen Einladung auf ein Bier mit den Worten: »Alkohol nein danke, Atomkraft nein danke, Menschen nein danke« eine Abfuhr erteilte, also vielleicht ein Antialkoholiker war,
– dass ein Mensch ohne Obdach wohl kaum sein gesamtes Hab und Gut irgendwo zurücklassen würde, um ohne Schlafsack bei Minusgraden in einer Busstation am anderen Ende der Stadt zu nächtigen,
– und dass es sich bei dem Toten um dieselbe Person handelt, die der kleinen Anna Kaufmann, deren Mutter mittlerweile nach einem dubiosen Selbstmordversuch auf der Intensivstation liegt, das Leben gerettet hat.
»Gibt’s noch was?«, will Josef Krainer genervt wissen.
Wortlos dreht sich Willibald Adrian Metzger um und erntet kurz vor Verlassen der Dienststelle noch einen Nachruf: »Das Klumpert in Ihrer Werkstatt können Sie übrigens behalten, passt ja hervorragend dorthin.«
Dann fällt die Tür zu.
14
Lilli brüllt, als wollte sie stellvertretend dem Gemütszustand des in die Werkstatt zurückgekehrten Metzgers Ausdruck verleihen. Nichts zeigt Wirkung, nicht der Schnuller, nicht die Rassel, nicht der warm gehaltene Fencheltee, keines der angestimmten Kinderlieder, kein Im-Arm-Wiegen, kein An-die-männliche-Brust-Drücken.
Erst der helle Klang des Werkstattglöckchens samt dem vertrauten Zuruf sorgt für Beruhigung, was soll ein hungriger Säugling auch mit einer männlichen Brust. Lillis Mutter Trixi Matuschek-Pospischill springt, gefolgt von Willibalds Halbschwester Sophie Widhalm, vergnügt die Treppe herunter, und dem Metzger wird ein wenig wärmer ums Herz. Seit vor einiger Zeit wie aus dem Nichts seine deutlich jüngere, bildhübsche Anverwandte in sein Leben getreten ist, weiß er also, dass selbst mittellose Väter nach ihrem Ableben in puncto Hinterlassenschaft immer noch für nachhaltige Überraschungen gut sind. Und mittlerweile bereitet sie nicht nur ihm, sondern vor allem auch Trixi und Danjela eine große Freude, die in Fleisch und Blut verewigte Erbmasse namens Sophie Widhalm.
»Lillimaus, die Mami und die Tante Sophie sind da!«, schallt es also vergnügt durch den Gewölbekeller: »Hat es da wer wieder richtig schön gehabt beim Onkel Willibald und der Tante Danjela? Nanana, wer wird denn da gleich weinen, oder haben wir vielleicht Hunger? Ist schon gut. Na, komm schon her zur Mama!«
So ist das eben: Der eigene Nachwuchs kann zwar akustisch bereits im Mutterleib völlig problemlos die eigenen Angehörigen orten, trotzdem sprechen die Eltern später im Dialog mit ihren Kindern beharrlich von sich selbst in der dritten Person, selbst dann noch, wenn diese kleinen Wunderwerke an Lernfähigkeit längst ein »Mama« oder »Papa« anstandslos über die Lippen bringen.
»Ich geh kurz nach hinten!«, erklärt Trixi, meint in diesem Fall natürlich »wir«, und steuert mit Lilli im Arm auf die barocke Chaiselongue im rückwärtigen Teil der Werkstatt zu. »Ich hab den Eindruck, ihr zwei seid heut ein wenig schaumgebremst!«, registriert Sophie Widhalm indes die etwas matte Stimmung. »Was ist los?«
Viel muss der Metzger da nicht erzählen, denn kommuniziert wird eifrig, vor allem ohne sein Beisein. Wie gesagt, Danjela, Trixi und Sophie verstehen sich prächtig, folglich war der Zusammenschluss zu einer Art Selbsthilfegruppe für alle aus weiblicher Sicht im Alltag auftauchenden Fragen einfach unvermeidlich. Und weil das im Fall dieses Triumvirats eben eine Menge Fragen sind, ist das eben auch eine Menge an Meinungsaustausch. Und weil eine Menge an Meinungsaustausch zu dritt gar nicht so einfach ist, ist das eben eine Menge an Telefonaten. Und weil eine Menge an Telefonaten gelegentlich ein Unwissen darüber auslöst, wem man jetzt was bereits alles erzählt hat, ist der Wissensvorsprung der Damen gegenüber ihrem Umfeld oft ein gewaltiger.
»39 Jahre und keine Angehörigen, sagst du? Das will man kaum glauben bei so einem jungen Menschen. Da muss was Schreckliches passiert sein«, stellt Sophie aufgewühlt fest. Betroffen macht sie die Erzählung vom Sterben des Obdachlosen, die Vereinsamung eines Lebens bis hin zum öffentlichen Tod auf belebter Straße inmitten friedlicher Zeiten.
»Keine Angehörigen, und das Klumpert, wie dieses Scheusal Krainer den Nachlass des Verstorbenen bezeichnet hat, kann ich behalten. Was mach ich jetzt damit?«, wendet sich der Metzger nun den Habseligkeiten Karl Schrothes
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