Der Metzger bricht das Eis
Ort.«
»Halunke!«, lautet die Antwort, und wenig später spazieren zwei vergnügte Urlauber auf der wunderbar geräumten Zufahrtsstraße des Kalcherwirts abwärts. Etwa zwanzig Minuten dauert der beschwingte Fußmarsch, dann lassen die beiden eine der drei Gondelstationen rechts liegen und stechen direkt hinein in das äußerst übersichtliche Ortszentrum. Idyllisch ist es hier und auf Anhieb heimelig. Entzückende Häuser, von deren Fassaden die Schilder mit den Zeichen der mittelalterlichen Zünfte wie Nasen über die Straße herausragen, liebevoll dekorierte Auslagen, mit Lichterketten geschmückte Bäume, ein paar herumspazierende Menschen und kein einziges Auto. Eine derartig gepflegte und angenehm ruhige Fußgängerzone hat Willibald Adrian Metzger bisher noch nicht gesehen.
So wird also gemütlich dahingeschlendert, bis Danjela Djurkovic erklärt: »Gehen wir da rein!«, und da staunt er jetzt nicht schlecht, der Metzger, denn damit hätte er nicht gerechnet. Über einem Torbogen strahlt in kursiven Lettern: Thuswalder-Citypassage.
Jede Zeit hat eben ihre Denkmäler. Gegenwärtig sind es überheizte, von Großhandelsketten in Beschlag genommene Einkaufszentren, erhaben über das Wetter, die Öffnungszeiten und das Immunsystem. Wer sich nicht in Spitälern ein paar Viren holt, kann sich dort selbst bedienen.
»Ich will da nicht rein, es gibt doch hier draußen so nette Geschäfte!«
»Aber ist geheizt, oder willst du heimkommen wie Papagei?«, untermalt Danjela Djurkovic ihren Griff an Willibalds Ohrläppchen und die damit verbundene, ein wenig an das Rügen eines kleinen Kindes erinnernde Längenänderung desselben.
»Au – und wieso Papagei?«, will der Metzger verwundert wissen.
»Na, hast du schon gesehen Papagei mit Ohrmuschel? Ich nicht. Und sag ich dir, friert dir bald ab! Hast du schon Ohrmuschel so rot wie gefüllte Paprika oder von Blutorange Fruchtfleisch! Brauchst du Haube!«
Dann tritt sie ein paar Schritte vor, zügig öffnet sich die Schiebetür, und vorbei ist es mit der Gemütlichkeit.
»Da sind sie also alle!«, stellt der Metzger fest und muss sich wirklich bemühen, das von Danjela eingeschlagene Tempo zu halten. Mit einer feingeschliffenen Ausweichtechnik manövriert sie durch die Menschenmassen und vorbei an den eingetopften Riesenpalmen samt den darunterstehenden Sitzgelegenheiten, nur ein Ziel vor Augen: die Filiale einer mittlerweile zum Einkaufszentrumsstandard zählenden Billig-Textilkette.
»Hm!«, grübelt der Metzger, nimmt auf der erstbesten Sitzgelegenheit neben dem Eingang des Diskonters Platz und verpasst sich einen flehenden Gesichtsausdruck: »O meine Göttin, du hast mein vollstes Vertrauen. Übernimmst du das bitte mit der Haube, sei so lieb. Ich warte hier. Und mach dir keinen Stress!«
»Arme kleine Junge«, wird ihm umgehend über den Kopf gestreichelt, »aber laufst du nix weg, muss ich dich sonst ausrufen lassen!«
Und wenn er eines mit Sicherheit weiß, der Metzger, dann, dass seine Danjela erstens ohnedies gern allein und zweitens nicht allein der Haube wegen im Inneren des Geschäfts verschwindet.
So sitzt er also zufrieden unter einer Palme und lässt seinen Blick ein Weilchen umherschweifen. Wer bereits bei Betreten des Einkaufszentrums den Namenspatron dieser Citypassage vergessen hat, vergisst ihn nach Verlassen derselben nicht wieder: Thuswalder Riesenkrapfen, Thuswalder Schmankerlstube, Drogerie Thuswalder. Jetzt juckt den Metzger die Neugierde doch ein wenig, also steht er auf, und schlendert ein Stückchen weiter: Thuswalder Trachtenreserl, Schuhhaus Thuswalder, Thuswalder Blumenland, ganz hinten Bestattung Thuswalder und zu guter Letzt das Parkhaus Thuswalder. Hier ist es sozusagen aus und vorbei, geht es nicht mehr weiter, außer natürlich, man sucht sein Auto.
Auf dem Rückweg bleibt er dann hängen, der Willibald, bis zu fünfzig Prozent Rabatt ist ja auch wirklich vielversprechend, ebenso wie die geringe Kundenzahl im Schuhhaus Thuswalder. Außerdem weiß er ja, was er will.
Eine junge, sehr bemühte Verkäuferin begutachtet die Sohle der Lederstiefel, meint: »Damit können’S Ihr Auto polieren«, bringt drei verschiedene bergschuhähnliche Modelle und erklärt:
»Da ist zwar jeder Schuh eine Wucht, bei dem hier haben’S aber sogar bei minus 40 Grad noch warme Füß. Schneeschuhwandern können’S damit auch!«
»Wandern reicht mir!«
Der rechte Tiefsttemperaturenkandidat wird mit kräftiger Hand von der Verkäuferin
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