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Der Metzger bricht das Eis

Der Metzger bricht das Eis

Titel: Der Metzger bricht das Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raab
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Zwerg allerdings ist ihm hier noch nie in die Quere gekommen, Hut ab.
    »Wos ist, Ozwickta, wüst ma die Eier krozn oder wüst vorbei?«, hat sich grad vorhin einer der hier so beliebten großstädtischen Wochenendtouristen im Menschengewühl zu fragen getraut. Woraufhin dieser blitzartig zu seinem Kontrahenten auf Augenhöhe hinuntergezogen wurde, dem Schmerzensschrei nach zu urteilen an genau den zu kratzenden Eiern. Dann war in die schlagartig entstandene Ruhe hinein ein nüchternes »Fractura Os nasale!« zu vernehmen, gefolgt von einer gezielten Geraden in Richtung Nasenbein samt Knacksen und sich anschließendem nächsten Schmerzensschrei.
    Das ist im Edelweiß so üblich: Wegen ein paar Streckübungen der Extremitäten wird noch lange nicht die Polizei geholt und wegen eines reaktionsschwachen großstädtischen Wochenendtouristen schon gar nicht. Seither tanzt an diesem Abend ein kleines Rumpelstilzchen in sportlichem Honda-Racing-Team-Langarmshirt und mit einer gelben Schirmkappe auf der Tanzfläche herum, als gäbe es kein Morgen. Natürlich nicht allein. Denn kleine Männer mit großer Wirkung sind in Damenkreisen weitaus beliebter als große Männer mit kleiner Wirkung. Abgesehen davon zeigt der sich unter dem Langarmshirt abzeichnende Körper nicht jene großflächigen Erhebungen rund um die Nabelgegend, die den üblichen Edelweiß-Besucher auszeichnen, sondern Muskeln aus Stahl.
    Jo Neuhold hat ihn also gefunden, den Edelweiß-Helden für diese Nacht.
    »Gratis Rum bis zum Morgengrauen!«, brüllt er dem kleinen Haudegen zu, und alle Gläser heben sich zum Prost.
    Exposition
    Toni Schuster ist das gewohnt: Bevor ihm jener Respekt entgegengebracht wird, den ein Mann mit durchschnittlicher Größe von vornherein genießt, muss er sich beweisen. Hat er sich aber schließlich dieses Ansehen verschafft, überragt er alle.
    Auf der Piste sieht das beispielsweise so aus: Unter dem verborgenen Gelächter diverser Beobachter nimmt er seine Skier aus dem Kofferraum, zieht die weißen Skischuhe an, stülpt sich die rote Skihose über den Schaft, verschließt die rot-weiße Skijacke, schultert die Skier, geht zur Talstation und trifft dort mehr oder weniger auf alte Bekannte. Nicht, dass er die Menschen persönlich kennen würde, vertraut ist ihm lediglich ihre Mimik. Immer die gleichen Gesichter, diese Mischung aus Mitleid und Belustigung, Unterschätzung und Selbstüberschätzung. Das durch sein Erscheinen in der Gondel ausgelöste Schweigen, das durch ihn hervorgerufene Amüsement hören schlagartig auf, wenn er die Bergstation erreicht hat und Fahrt aufnimmt. Und eine Fahrt ist das, da wechseln die übrigen Pistenbenützer gedanklich freiwillig zum Mickey-Mouse-Parcours. Toni Schuster steht auf dem Ski wie ein Halbgott, elegant, präzise, absolut sicher auf jedem Terrain, und Toni Schuster geht Ski fahren, um tatsächlich Ski zu fahren, und nicht, um sich seinen Arsch in irgendeiner Hütte wund zu hocken. Unermüdlich absolviert er eine Piste nach der anderen, mit keinem Tropfen Alkohol im Blut, fährt und fährt und fährt so lange, bis jeder Liftbenutzer kapiert hat: Dieser rote Zwerg ist ein Gigant.
    Wer am heutigen Tag nicht lange gebraucht hat, um das herauszufinden, und ihm vor lauter Begeisterung trotz des deutlichen Größenunterschieds nicht mehr von der Seite weichen wollte, ist jene Dame, die er hier wie ausgemacht anzutreffen gedenkt.
    Durchführung
    »Sophie, passt du auf!« Ein reflexartiges Zucken geht Danjela Djurkovic durch den Gipsarm. »Kannst du nicht einfach machen abrupte Kehrtwendung, wenn geh ich hinter dir! Holst du dir blaue Flecken!«
    Auch der Metzger mit seinem Thuswalder Papiersack in der Hand läuft ein wenig auf und gleichzeitig ein wenig aus. Zehn Meter hat er nun in dieser lebensnahen Umsetzung des Fegefeuers zurückgelegt, und ihm drückt es so großflächig den Schweiß aus den Poren, als wäre er tatsächlich ein durch römisch-katholische Läuterungsflammen zur ewigen Transpiration verdammter Sünder. Düster ist das Licht, bis auf das helle Blitzen einiger zuckender Discokugeln, Nebelschwaden schweben über die Tanzfläche, Schallwellen von unvorstellbarer Lautstärke breiten sich bis in die Magengrube aus, und ein Mief hängt in der Luft, dagegen ist die Turngarderobe pubertierender Knaben atemtechnisch ein Ort zur Tiefenentspannung. Trotz der Hitze fühlt sich hier unten dennoch kaum einer der Gäste bemüßigt, sich seiner Skijacke zu entledigen, manche haben sogar noch

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