Der Metzger bricht das Eis
dann auch ihre Frage: »Und, gefunden, wonach Sie suchen?«
Fast mit einer Spur Verachtung blickt sie ihm direkt in die Augen. Schlucken muss er jetzt, der Willibald, trocken ist sein Mund, unübersehbar sein Zögern, völlig unverständlich ist ihm diese verhörartig gestellte Frage. Warum nur verhält sich eine Quartiergeberin derart abweisend zu ihren Gästen? So gut es geht zaubert er ein wohlwollendes Schmunzeln auf seine Lippen, hebt die Kunstpelzmütze hoch und erklärt: »Alles wunderbar, dank Ada bin ich fündig geworden. Ja, ja, hier bei Ihnen scheint zwar die Sonne, trotzdem pfeift einem ein eisiger Wind um die Ohren.«
Agnes Kalcher zieht mit ernster Miene eine Augenbraue hoch:
»Na, dann ziehen Sie sich schön warm an, Herr Metzger, bei uns kann das Wetter schnell umschlagen!« Sie hebt die Hand zum Gruß und folgt ihrer Enkelin.
Toni Schuster wird die Heimreise also nicht in Damenbegleitung antreten. Trotz des drastisch zum Ausdruck gebrachten Ärgers Sophie Widhalms führen die beiden Beamten unbehelligt ihre Befehle aus. So erfolgt die Rückfahrt in ähnlicher Konstellation wie die Hinfahrt. Vorn ein Einsatzfahrzeug, diesmal der Polizei, dahinter im selben Tempo, also unter völliger Außerachtlassung der Geschwindigkeitsbegrenzungen, Sophie Widhalm und Danjela Djurkovic.
»Sind wir zurück laut Navi in dreiundvierzig Minuten!«, wird der mittlerweile etwas ziellos durch den Ort streunende Restaurator nach ausführlicher Berichterstattung in Kenntnis gesetzt.
»Viel früher!«, brüllt Sophie Widhalm fuchsteufelswild in die Freisprecheinrichtung: »Und sag ihm, wir fahren zur örtlichen Polizeidienststelle, und zwar direttissima!«
»Ihr müsst euch wegen Toni keine Sorgen machen«, versucht Willibald Adrian Metzger auch in Sorge um die Unversehrtheit seiner Danjela beruhigend einzuwirken. »Ich glaub, es gibt einen zweiten Verdächtigen: Sepp Kalcher. Den hab ich übrigens heute Morgen die Piste raufspazieren gesehen. Du wolltest doch herumschnüffeln, oder? Dann setz in Gegenwart der Polizei deinen weiblichen Charme ein und finde ein bisschen was über ihn heraus!«
So etwas hört Danjela Djurkovic natürlich gern.
Ziellos herumstreunen, das also ist die aktuelle Beschäftigung des Metzgers und zugegeben, vordergründig klingt das nach nicht viel, am ehesten nach den Laufwegen großer Orientierungslosigkeit. Immer wohingehen, so lautet ansonsten die Devise, möglichst zielorientiert, und das am besten schön hektisch und bedeutsam. Außer natürlich man ist auf Urlaub. Logisch also, dass Touristen über die Region, die sie bereisen, grundsätzlich weit besser informiert sind als Menschen, die sie bewohnen. So ein mehr oder weniger von Raum und Zeit losgelöstes Durchschreiten der Umgebung öffnet eben den Blick für die Besonderheiten des Alltäglichen, vor allem Außenstehenden. Und ein kleines Mäderl, das mutterseelenallein in voller Montur durch einen Skiort spaziert, ist für Einheimische wirklich nichts Aufsehenerregendes. Schon gar nicht, wenn es sich dabei um Ada Kalcher handelt. Für den Metzger aber hört es sich schlagartig auf mit dem ziellosen Herumstreunen. Nicht allein deshalb, weil Ada ihre Großmutter offenbar doch noch überredet oder sich einfach auf eigene Faust davongemacht hat, sondern weil sie nicht allein unterwegs ist. Gut, das Fahren im Schritttempo ist hier im Ortszentrum ebenso gang und gäbe wie ein einsam auf die Gondelbahn zusteuerndes kleines Mäderl, außer natürlich ein Bus mit getönten Scheiben heftet sich an die Fersen der Kleinen. Da muss man heutzutage gar nicht erst paranoid sein, um bei einem derartigen Anblick auf besorgniserregende Gedanken zu kommen. So legt er jetzt einen Gang zu, der Willibald. Festen Schrittes stapft Ada, ein Snowboard geschultert, in Richtung Talstation der etwa fünfhundert Meter entfernten Gondelbahn, knapp dahinter der schwarze Bus, ein Stück entfernt der Metzger. Und jetzt läuft er, der Willibald, denn der Wagen hat auf Ada aufgeschlossen und hält neben der Kleinen an. Die Tür geht auf, es werden Worte gewechselt, eine Hand streckt sich heraus, und den Metzger überkommt die Panik.
»Ada!«, brüllt er, »Ada, stopp …!«, dann traut er seinen Augen nicht. Auch neben ihm ist ein Fahrzeug aufgetaucht, und ein wenig fühlt er sich, als wäre er Zeitzeuge einer wundersamen Vermehrung. Nur sind es in seinem Fall nicht Brot und Fisch, sondern Busse. 1:1 gleichen sich die Modelle an Adas und seiner Seite, einziger
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