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Der Metzger bricht das Eis

Der Metzger bricht das Eis

Titel: Der Metzger bricht das Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raab
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fest! Jetzt muss oben erst mal die Bergrettung geholt werden, das kann dauern. Aber keine Sorge, ich hab n Lunchpaket dabei!«
    Kurz ist es ruhig, der mit regungslosem Gesichtsausdruck erbleichte Metzger erntet einen ernsten Blick, dann wird losgeprustet:
    »Scherzchen! So ne Gondel hält zwischendurch eben einfach mal an. Mensch, und jetz nehmen Se Platz und genießen die Fahrt!«
    »Ich glaub, ich muss mich übergeben!«
    Schlagartig wird es ruhig und keineswegs unauffällig der Sitzabstand vergrößert. Ein wenig folgt er der ihm zugedachten Distanzierung, der Willibald, krümmt sich, beugt sich in Richtung seines Mitreisenden, starrt in angsterfüllte Augen, dann kommt es zur Retourkutsche: »Ebenfalls Scherzchen!«
    Beidseitiges Gelächter, der Metzger nimmt Platz, von einer zurückgekehrten gesunden Gesichtsfarbe kann aber offensichtlich nicht die Rede sein, denn Hilfe wird angeboten:
    »Ich hab’n Wundermittel!« Der Skianorak wird geöffnet, ein überraschend großer Flachmann gezückt, übergeben, und dem Metzger ist klar, warum es da wer gar so lustig hat, denn verdächtig leichtgewichtig fühlt es sich an, das Fläschchen: »Is immer dabei. Ne Alpenkräutermischung. Prost. Übrigens: gestatten, Detlef Rüdiger.«
    Ohne sich zweimal bitten zu lassen, nimmt der Metzger einen kräftigen Schluck, und ein wenig dauert es, bis auch er sich vorstellen kann.
    »Meine Güte, der brennt: Höllenflammen in der Kehle, kann ich da nur sagen!«, hechelt er.
    »Auf meine Hermine is eben Verlass. Hat’se selbst gebrannt!«, ist die Antwort. Mit einem Nicken wird der Metzger zu einem neuerlichen Schluck eingeladen, kurz wird geschwiegen, dann fährt er, so wie mit einem Ruck auch wieder die Gondel, fort, der Herr Rüdiger, und verliert sich in einen Monolog, dessen Inhalt so wie der des Flachmanns mit seiner Frau in Zusammenhang steht. Denn weil die geliebte Hermine eben befohlen hat, ihr geliebter Detlef möge nicht zu leben aufhören, nur weil sie eines Tages tot ist, verbringt Detlef Rüdiger diesen Urlaub nun also erstmals alleine. Erstmals wohlgemerkt, er besitzt sie nämlich alle: die bronzene Gedenkmünze des heiligen Antonius, Schutzheiligen der hiesigen Pfarrkirche, überreicht zum fünfjährigen, die silberne Anstecknadel mit dem Wappen der hiesigen Böllerschützen, überreicht zum zehnjährigen, und schließlich den mit der Gravur Hermine & Detlef versehenen kugelschreibergroßen goldenen Ski der hiesigen Liftgesellschaft, überreicht zum fünfzehnjährigen Jubiläum der regelmäßigen Wiederkehr als Urlaubsgäste.
    »Ja, ja, der Tod is’n alter Schweinehund. Mensch, da wollt ich mich heute erstmals ins Verderben stürzen, und dann is’se gesperrt, die Schindlgruben!«, beendet er seine wehmütige Geschichte.
    Dann holt er sein Eigentum zurück, trinkt ebenfalls, während der Metzger erklärt: »Sie hätten wahrscheinlich keine rechte Freude. Auf der Schindlgruben-Abfahrt ist heut ein Unglück passiert, da liegen ein paar Bröckchen zu viel herum …!«
    »Wieso Brötchen?«, unterbricht Herr Rüdiger.
    »Bröckchen …«
    Herr Rüdiger lacht: »Ne, ne, war ’n Scherz, ich weiß schon, dass das kein Weißbrot oder Gesteinsbrocken sind, außer natürlich dieser Axpichl war mit’n paar Gallen- oder Nierensteinen unterwegs. Is ’n ganz schön multifunktionales Teil, so ne Schneekanone!«
    Der Hochprozentige wechselt wieder den Besitzer, der Metzger trinkt, keucht »Feuerwasser« und ergänzt:
    »Sie kennen den Erich Axpichl!«
    »Aber hallo, ich lass hier seit 17 Jahren mein Erspartes!«
    »Na, dann kennen Sie doch sicher auch einen Karl Schrothe!«
    »Schrothe. Das klingt genauso einheimisch wie Borkel- oder Sulemann. Nee, keine Ahnung! Erstaunt mich aber, dass Sie so verwundert reagieren, wenn wer schon mal den Namen Axpichl gehört haben will. Den kennt doch bei euch hier jeder.«
    Da ist er jetzt natürlich überrascht, der Metzger: »Tut mir leid. Und was bitte heißt: bei euch hier?«
    »Also entweder Sie kommen von nem andern Kontinent, oder Sie leben hier in ner Erdhöhle. Erich Axpichl: Das war ’n Spitzenskifahrer. Das müssen Sie doch wissen, Mensch, ihr habt ja sportlich gesehen sonst nich wirklich viel zu melden, oder?«
    Und wieder lacht er, der Herr Rüdiger, und seine weißen Zähne spiegeln sich im Glanz der am Kragen des Skianoraks platzierten silbernen Anstecknadel. Das zeigt eben grenzübergreifende Wirkung, wenn selbst jede durch Schlechtwetter verursachte Zeitverzögerung und

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