Der Metzger bricht das Eis
Mutterliebe unter die Nase zu reiben, so als hätte sie die Frucht ihres Leibes nur bekommen, um diesen Leib samt der üppigen Mutterliebe freizügig zu demonstrieren, dann geht es garantiert nicht um das Säugen eines Kindes, um Liebe schon gar nicht, sondern ausschließlich um das Stillen des eigenen exhibitionistischen Bedürfnisses. Seit er genötigt wurde, so lange von Brüsten zu trinken, bis sie inklusive der verachtenden Blicke aller anderen unvergesslich in sein Hirn eingebrannt waren, kotzen ihn Titten an. Mit sechs hat er zugebissen wie ein Pitbull, nicht mehr losgelassen, die Warze geköpft und gelacht.
Spätestens da haben seine Eltern bemerkt, nicht nur mit dem eigenen Schmerz kommt der Junge hervorragend zurecht, sondern auch mit dem der anderen. Mit dem Schmerz, mit dem Blut, mit den Tränen, mit der Verzweiflung.
Die Uhr zeigt kurz nach Mittag, diese Djurkovic ist versorgt, der Metzger unterwegs. So ein spontaner Kurzbesuch in ihrem Zimmer wird doch hinzubekommen sein.
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Mit einer Punktekarte, die preistechnisch durchaus in jener Region liegt, da hätte er sich gleich zweimal mit dem Taxi zum Kalcherwirt kutschieren lassen können, reiht er sich also ein, der Metzger. Wobei einreihen im Sinne von anstellen nicht stimmt. Wie auf der Piste ist auch hier kaum etwas los, trotz überfülltem Parkplatz. Was will es also mehr, das Skifahrerherz, geht es ihm durch den Kopf: wenig Leute, freie Pisten, vorbei die Zeiten der Endlosschlangen vorm Schlepplift. So besteigt er also allein mit einem eindeutig als Skifahrer erkennbaren Herrn, der mit ziemlicher Sicherheit schon ein Willkommen-im-50er-Klub-Leibchen im Kleiderschrank hängen hat, die Sechsergondel. Der Metzger nimmt gegen die Fahrtrichtung blickend Platz, und ist nicht der Einzige, denn die Bank gegenüber bleibt leer. Die Türen schließen, schwunghaft geht es aus dem Starthäuschen hinaus ins freie Gelände, und mit einem Schlag hängt er in der Luft, der Willibald. Ein Zustand, den er ja grundsätzlich nicht mag, noch dazu in derart schwindelerregender Höhe. Die Fahrt geht dahin mit Blick hinunter ins Dorf, auf die Skipisten, hinüber zum Kalcherwirt, bei dem eine Skigruppe Fahrt aufnimmt, weiter zum Axpichl, und so gut die Aussichten auch sind, ihm ist trotzdem schlecht. Willibald Adrian Metzger zückt sicherheitshalber die Textil-Diskonter-Strickmütze, auch wenn er sich völlig darüber im Klaren ist, dass diese eine Magenentleerung maximal abzuseihen, also in ihre Fest- und Flüssigbestandteile aufzuspalten imstande ist, sein Mitreisender zückt sicherheitshalber die Miniaturausgabe einer Tube Sonnencreme, beschriftet mit »Sunblocker« – was natürlich gegen die möglicherweise bevorstehende Bestrahlung im Inneren der Gondel nichts nützt.
Diesbezüglich benötigt der Metzger nun seine allerhöchste Konzentration, denn wenn ihm jetzt eines noch gefehlt hat, dann ist das genau diese Creme samt ihrem penetranten Parfümgeruch.
Nun ist es in engen Räumen im Fall eines Zusammentreffens einander unbekannter Menschen ja so, dass, ein Beichtstuhl natürlich ausgenommen, zumeist nur dann das Gespräch gesucht wird, wenn Unvorhergesehenes passiert, wie zum Beispiel: der Fahrstuhl bleibt stecken. Und ein wirklich großer geistiger Brückenschlag ist das ja jetzt gerade nicht vom Fahrstuhl zum Lift und schließlich zur Gondel: Einem abrupten Stoppen folgen ein seltsam knarrendes Geräusch, eine bedenklich ausladende Schaukelbewegung und ein panisch sich im Gondelinneren verspreizender Restaurator. Die Füße gegen den Boden, die Hände gegen das Dach, die Lippen aneinander gepresst steht ihm das Entsetzen im Gesicht: »Was, was passiert hier!«
»Mensch, Sie sehn aber gar nich gut aus. Höhenangst?«
»Nur die Angst!«
»Fahrn Se denn zum ersten Mal?«, erklingt es im Inneren der Gondel in aufgeweckter Fröhlichkeit, und erklänge es derart akzentuiert hierzulande nicht in solch erfreulicher Vielzahl, er hätte maximal nur noch das Verkehrsaufkommen eines innerstädtischen Sonntagvormittags, der ganze Fremdenverkehr.
»Erstes Mal«, bringt der Metzger bemüht zustande und wundert sich, wie schnell so eine Todesangst einer kaum zu bändigenden Übelkeit den Garaus macht: »Warum stehen wir?«
»Stehen tun nur Sie, grundsätzlich aber hängen wir«, zeigt sich da wer von der humorigen Seite. »Aber keine Sorge. Das is völlig normal, so’n Stoppen. Hin und wieder is einer beim Aussteigen zu spät dran und steckt dann zwischen den Türen
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