Der Metzger bricht das Eis
so wie auch einige Meter entfernt. Im Gegensatz zum Dienstzimmer wird dort von diesen Möglichkeiten auch eifrig Gebrauch gemacht. Eingestiegen wird freiwillig, ausgestiegen nicht immer. Manch einer schafft es eben nicht bis ganz hinauf, sondern verabschiedet sich gleich zu Beginn oder irgendwo dazwischen. Ist ja auch wirklich alles andere als leicht, sich gerade mal halbwegs auf Skiern halten könnend, in einer butterweichen Spur von einem zwischen den Oberschenkeln steckenden Plastikteller den Hang hochziehen zu lassen. Vor allem unter den anfeuernden Rufen der eigenen Erzeuger.
Es ist Samstagnachmittag, 15:30 Uhr, ein Skitag geht zu Ende, die Skiflöhe werden wieder an ihre Eltern übergeben. Und dieser Beweisakt des Leistungsfortschritts sieht so aus: ein letztes Mal mit dem Tellerlift hinauf, hinunter über den Mickey-Mouse-Parcours und dann zu Mama oder Papa oder zu beiden, manchmal auch noch zusätzlich zu Oma und Opa oder den großen Geschwistern. Lampenfieber steht also auf der Tagesordnung, Sturzorgien samt Tränen ebenso, nur das gemeinsame »Ski-Heil-Heil-Heil« ist zum Glück aus der Mode gekommen.
Und so wartet Sophie Widhalm nun vor dem offenen Fenster, genießt die letzten Sonnenstrahlen, beobachtet die dank kälteresistenter Wattierung monströser Helme und wackeliger Beine zu kleinen Teletubbies mutierten Sprösslinge und spürt die prickelnde Wärme in ihrem Unterleib. Kinder, eigene Kinder, ja, das gehört zu ihrem Lebensplan, vor allem seit die kleine Lilli Matuschek-Pospischill auf der Welt ist. Ein Lebensplan, für den ihr, auch wenn sich heutzutage Spätzünderinnen noch im Pensionsalter als werdende Mütter feiern lassen, nicht mehr allzu lange Zeit bleibt. Nur, so ein Leben lässt sich leider kaum planen, Schwangerschaften schon gar nicht, und diejenigen, die diese Schwangerschaften verursachen, am allerwenigsten. Ein Lottosechser ist das heutzutage: ein geschlechtsreifer und nicht nur fortpflanzungsbedürftiger, sondern auch zeugungs- und folglich bindungswilliger Mann. Von Exemplaren, die einen Dauerauftrag für aktuelle Unterhaltszahlungen als Dauerentschuldigung für gemeinsame Haushaltszahlungen vorschieben, hat sie die Nase voll. Kennenlernen, zusammenziehen, Kinder, das ist die Reihenfolge, die ihr vorschwebt, und nicht Kinder, Zusammenziehen und Kennenlernen.
»Ach, Toni!«, entweicht es ihr hoffnungsfroh, den Blick nach wie vor hinausgerichtet.
Langsam leeren sich der Anfängerhang der Skischule und der Parkplatz direkt davor, und weil das eben immer so ist beim Reihenlichten, bleibt am Ende jemand über. In diesem Fall ist es ein kleiner Junge, geschätzte vier Jahre alt. Wie angewurzelt steht er allein am Fuße des Mickey-Mouse-Parcours im matschigen Schnee, umgeben von einer Truppe ausgewiesener Weltklasseskifahrer: Mickey, Minni, Kater Carlo, ein paar verirrte, ausgebleichte Schlümpfe, ein Peter Pan, alle mindestens dreimal so groß wie er, einfach nur traurig sieht das aus. Auch deshalb, weil der Junge zwar das einzig anwesende Kind, aber nicht der einzig anwesende Mensch ist. Ebenso vereinsamt steht eine Gruppe Erwachsener am Rand der Piste, blickt den Hang hinauf und wartet. Und keiner von ihnen wartet offenbar auf den Kleinen. An diesem Zustand ändert sich nichts, nicht nach fünf Minuten, mitfühlend hebt Sophie am Fenster die Hand und winkt, nicht nach zehn Minuten, mittlerweile winkt der Junge zurück, mittlerweile zeigen die Eltern erste Unruheerscheinungen, manche telefonieren, manche blicken nervös auf ihre Uhren. Weitere fünf Minuten später fährt der Inbegriff an Lässigkeit den Hang herunter, und alles, aber auch wirklich alles an dieser Erscheinung soll zum Ausdruck bringen: Ich bin genau das, was andere als cool bezeichnen. Ein Skifahrer im Snowboarder-Schlabberlook, mit buntem Rucksack und Bob-Marley-Häkelmütze legt seine Schwünge in den Schnee, und verdammt, es sieht einfach phantastisch aus, fast spielerisch leicht. Der erste Gedanke, der Sophie Widhalm bei diesem Anblick kommt, ist: »Fliegen«, der zweite: »Ach, wie süß!« Denn in Reih und Glied und mit erstaunlicher Geschwindigkeit hält ein ganzer Rattenschwanz von Kindern sturzfrei dahinter die Spur. Da werden freiwillig Telefonate unterbrochen, nur um diesem Spektakel den nötigen Respekt zu zollen. Euphorisch ist der Applaus, vielleicht auch aus Erleichterung über die wohlbehaltene Ankunft der Stammhalterinnen und Stammhalter.
Unten angekommen, bremst der Kopf der Truppe direkt vor
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