Der Metzger bricht das Eis
jemand, der auch ohne Futteranhänger selbstgefällig über den Dingen stehen könnte, dermaßen ungekünstelt auf Augenhöhe des Fußvolkes und Kleintieres begibt, ist zumindest für sie eine neue Erfahrung.
Warum sich Robert Fischlmeier allerdings extra in den Wildpark begeben hat, um dort Heinrich Thuswalder zu treffen, versteht sie wenig später, nach einem für ihre Knie alles andere als erfreulichen Abstieg, noch immer nicht ganz.
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Froh ist er jetzt, der Metzger, über sein kokonartig verpacktes Dasein, denn was da im Hintergrund auftaucht, sich die Piste hinunterschlängelt und zügig näher kommt, entpuppt sich zusehends als keineswegs beruhigend. Und das will was heißen, denn an sich zaubert so eine Kinderskigruppe dem Betrachter doch eher ein Lächeln ins Gesicht. Kinder, an denen zwar jeder Ausrüstungsgegenstand hoffnungslos zu groß scheint, die aber selbst immer noch kleiner sind als ihr Mut. Mit rasendem Tempo, zur Seite gestreckten Armen, gestreckten Beinen, weit nach hinten gestreckten Hinterteilen und zum Ausgleich dazu weit vorgebeugten Oberkörpern folgen sie ihrem Anführer. Und genau der ist der Grund des im Metzger aufkeimenden Unbehagens. Denn der Blick zurück ist in diesem Fall auch einer in die Vergangenheit. Diesen jungen Mann, dessen ohnedies schon ausreichend aufsehenerregende Haarpracht eine schwarz-gelb-grün-rote Häkelmütze aufbläht, als wäre sie genau jener Helm, den hier aller Vorbildwirkung zum Trotz nur die Kinder tragen, hat der Metzger mit Sicherheit schon einmal gesehen, eingeparkt in einem silbernen Familyvan vor dem Kinderspital. Jetzt bekommt er also auch seine Stimme zu hören:
»Hannes, hat’s wen erwischt, soll ich hinten anpacken?«
Der Bergretter, offenbar namens Hannes, ist stehen geblieben, ebenso wie die Kindergruppe, die in kürzester Zeit geschlossen zum festgezurrten Metzger hereinstarrt.
»Ist nett von dir, Laurenz, aber das ist nur eine Übungsfahrt!«, was die Kinder natürlich enthemmt und ihrer Phantasie freien Lauf lässt:
»Schaust aus wie ein Schmetterling vorm Schlüpfen!«, meint ein Mädchen. »Eher wie ein Fieberzapferl!«, ergänzt ein Bub, ein Weilchen dauert es, bis das Gelächter abklingt, dann ergänzt der Skilehrer: »Sagen wir Brotlaib!« Heilfroh ist der Metzger, jetzt nicht den Vergleich mit einem Sarg gehört zu haben, denn die Frage stellt sich für ihn schon: Ist umgekehrt auch er trotz seiner Verpackung wiedererkannt worden?
»Und, hast a Gaudi?«, wird er nun direkt angesprochen.
»Einmal und nie wieder!«, ist die Antwort des Restaurators.
»Sag niemals nie!«, ist wiederum die humorvoll gemeinte Erwiderung von allerdings geradezu hellseherischer Qualität.
Dann ist sie dahin, die Kindergruppe samt Skilehrer.
»Alles in Ordnung?«, will Bergretter Hannes wissen, bevor es nun weitergeht.
»So stell ich mir einen Skilehrer vor. Wenn ich mit dem eine Einzelstunde will, wen muss ich da anfragen?« erwidert der Metzger.
»Laurenz Thuswalder, der …«
»Ein Thuswalder, der als Skilehrer arbeiten muss?«, unterbricht der Restaurator. »Das ist dann aber nur eine zufällige Namensgleichheit, oder?« Und wenn er nicht festgezurrt wäre, würde er sich vor lauter Verwunderung jetzt aufsetzen.
»Na, na, das passt schon. Der Laurenz ist der ältere von den beiden Thuswalder-Söhnen. Im Grunde ein feiner Kerl, so wie sein Vater, ein fähiger Mann bei der Bergrettung, und wenn er kann, übernimmt er gern zum Spaß für einen Tag eine Kinderskigruppe.«
»Und wieso ist er nur im Grunde ein feiner Kerl?«
»Auch wenn die Thuswalders dem Ort das Überleben gesichert haben, war und werd ich nie ein Freund von dem Geschäft mit der Natur, von den Skigebietserweiterungen und dem ganzen Irrsinn mit dem Schnee, der da oben rauskommt!«
»Wieso Irrsinn?« Jetzt trifft er offensichtlich den Nerv, der Metzger, denn sein Gegenüber kommt in Fahrt, diesmal nicht auf Skiern:
»Erstens: Ein Vierpersonenhaushalt verbraucht im Jahr etwa 200 000 Liter Wasser. Für einen Hektar, also 10 000 Quadratmeter, beschneite Piste brauchst vier Millionen Liter. Alpenweit waren das im Jahr 2004 95 Milliarden Liter aus Bächen, Flüssen, Quellen oder der Trinkwasser-versorgung, sprich der jährliche Trinkwasserverbrauch einer Stadt mit 1,5 Millionen Einwohnern.
Zweitens: Ein Vierpersonenhaushalt verbraucht im Jahr 4500 Kilowattstunden Strom. Für einen Hektar beschneite Piste brauchst 25 000 Kilowattstunden. Alpenweit waren das im Jahr
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