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Der Metzger geht fremd

Der Metzger geht fremd

Titel: Der Metzger geht fremd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raab
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Zusammenhang mit dem Djurkovic-SMS-Malheur eine Mitteilung zukommen lässt: »SMS?«, versprachlicht er erstaunt seinen plötzlichen Einfall.
    Vorsichtig nimmt der Metzger abermals das Friedmann-Telefon zur Hand und quält sich durch das Menü. Dass sie da nicht früher draufgekommen sind! Naheliegend, nicht daran zu denken, wenn man eigenhändig nie elektronische Mitteilungen verfasst, nicht naheliegend in Anbetracht der Ereignisse.
    Dann wird er stutzig. Kurzmitteilungsverkehr gibt es auf dem Friedmann-Handy nämlich nur mit einer einzigen Person: mit Paula, und zwar ausschließlich am Tag des Todes von August-David. Willibald Adrian Metzger holt sich Block und Bleistift und beginnt den Schriftverkehr chronologisch zu notieren:
    Empfangen: Ich bins, Paula. Ich will dich sehen!
    Gesendet: Welche Paula?
    Empfangen: DIE Paula!
    Gesendet: Was heißt DIE Paula?
    Empfangen: Das heißt DEINE ehemalige Paula Hirzinger!
    Gesendet: Paula. Um Gottes willen! Wie kann das sein? Du, MEINE Paula! Muss dich wiedersehen. Ich bin nicht am Hof.
    Empfangen: Ich weiß, wo du bist, und ich bin hier! Treffpunkt am Pfad, der von der Straße durch den Wald zum See führt. Bin dort um 23 Uhr.
    Gesendet: Ich werde da sein!
    Lange betrachtet der Metzger das Blatt und holt den neuerlich angefertigten Stammbaum samt dem im Wald gefundenen Goldring aus seiner Jacketttasche. Und als wäre es ein Hinweis auf den dazugehörigen abgezwickten Finger, haben sie sich im Dunkeln der Tasche ineinander verkeilt, der Ring und die Nagelzwicke. Bis auf die Manikürhilfe legt er alles auf den Tisch. Dann steht sie köpf, seine Gedankenwelt. Anfangs nur, was Paula betrifft. Offiziell ist sie tot seit 1974. Könnte sie fünfunddreißig Jahre später August-David Friedmann ermordet haben? Das kann er nicht glauben, der Willibald, vor allem weil die Danjela etwa um dreiundzwanzig Uhr die Leiche im Schwimmbad entdeckt hat, das wäre auch die Zeit des ausgemachten Treffens gewesen.
    Langsam beginnen sich aus dem Gemenge der vielen zusammenhanglosen Eindrücke der letzten Tage die ersten Umrisse eines möglichen Ganzen abzuzeichnen, basierend auf den Theorien:
    • dass die tot geglaubte Paula damals am Hof mit dem Knecht August-David Friedmann eine Affäre gehabt haben könnte, wie aufgrund dieser Kurzmitteilungen und der Namensgravur im Ring anzunehmen ist;
    • dass Danjela Djurkovic mit ihrer Mutteridee recht hat und das am Ring eingravierte Datum zwar immer noch das Geburtsdatum von Xaver-Jakob ist, nur Xaver-Jakobs Mutter eben nicht Luise Hirzinger heißt, sondern Paula, was das seltsame Verhalten von Luise Hirzinger im Spital erklären würde;
    • dass diese damals, zumindest auf dem Foto, ziemlich minderjährig wirkende Paula während der langen Zeit ihrer von der alten Maria Zellmoser in der Kirche erwähnten sogenannten Krankheit unter Quarantäne nichts anderes auszubaden hatte als ihre offenbar schändliche Schwangerschaft, während August-David ihre volljährige Schwester Luise ehelichte;
    • dass nach der heimlichen Entbindung der neugeborene Xaver-Jakob seiner neuen Mutter Luise und die leibliche Mutter Paula aus lauter Schande ihrem Schicksal übergeben wurde, was ein Verstoßungsakt von dermaßen höchster und vor allem effektivster Güte gewesen sein muss, dass danach der eigene Vater Hans Hirzinger keinerlei Bedenken hatte, mit einer Seelenruhe das Gerücht in die Welt zu setzen, Paula sei tot;
    • und dass Paula im Wald vergeblich auf ein Wiedersehen mit August-David gehofft, schließlich von seinem Tod erfahren und sich verzweifelt von diesem Ring befreit hat.
    Der Stammbaum bedarf also einer Korrektur, beschließt der Metzger und kommt zu folgendem Resultat:

    Je mehr der Metzger darüber nachdenkt, desto schlüssiger erscheint ihm alles, vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass sein Fotofund panische Reaktionsbewegungen ausgelöst hat. Und während ihm seine Gedanken ein Bild nach dem anderen zeichnen, fangen auch seine Augen eines ein. Willibald Adrian Metzger erstarrt, den Blick zur Esszimmergruppe gerichtet: Hier, inmitten seiner Werkstatt, stehen die abgestoßenen Möbel der brüchigen Sippschaft, als wären sie das hölzerne Schaubild einer Familienaufstellung.
    Der Metzger kann sich gegen diese schaurige Assoziation nicht wehren:
    Einsam steht der Tisch als übermächtiges, dominantes Zentrum in der Mitte, Hans Hirzinger.
    In unterschiedlichen Abständen zum Tisch gruppieren sich um denselben acht Sessel: je einer für die

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