Der Metzger geht fremd
Töchter anspricht. Die verbale Notlösung hinsichtlich der Unschlüssigkeit, wer der Anwesenden nun tatsächlich zur Riege seiner leiblichen Söhne und Töchter zählen könnte, wird es ja wohl kaum sein. Sollte es also zum Ausdruck bringen wollen, dass alle Menschen Gottes Kinder sind, dann ist dieses vorangestellte »mein« aus dem Mund eines Priesters wahrlich der Gipfel an blasphemischer Selbstüberschätzung. Der Metzger wird aus seinen Gedanken gerissen: »Und Sie, mein Sohn, Sie fahren heute mit Sascha zum Hirzinger-Hof?«
»Nur beruflich!«
»Beruflich? Am Sonntag, am Tag des Herrn?«
»Na ja, Sie arbeiten ja auch heute.«
Jetzt ist es weg, das Lächeln. Oft ist ihm offensichtlich auf so weltlichem Niveau noch nicht widersprochen worden, dem Herrn Pfarrer Bichler, schon gar nicht so bissig, und das von einer so schäbig unrasierten und vor allem an bedeutender Stelle zahnlosen Person.
Weil aber die auf Auflehnung und Andersartigkeit lange Zeit üblichen katholischen Erwiderungen wie Wasserfolter, Verstümmelung, Eiserne Jungfrau, Judaswiege, Ketzergabel oder Scheiterhaufen ein wenig aus der Mode gekommen sind, wählt der Pfarrer die in konservativen Kirchenkreisen gegenwärtig schicklich gewordene Strategie, auf Widerspruch zu reagieren: Er ignoriert ihn. Zumindest vordergründig.
»Sascha, kommst du bitte morgen zu mir in die Kanzlei?« Dann dreht er sich um und geht, ohne Verabschiedung.
»Wunderbar«, meint Sascha Friedmann, während er mit weißen Knöcheln den grünen Zettel zu einem Ball zusammenknüllt.
»Das tut mir jetzt leid, ich wollt Ihnen wirklich keine Schwierigkeiten machen!«
»Wunderbar war Ihre Antwort. Schwierigkeiten hab ich schon.«
Und noch bevor der Metzger »Wieso?« fragen kann, lässt Sascha Friedmann die Reifen quietschen, worauf dann doch noch einige weitere Personen die Hand heben, wenn auch nicht zum Gruß. Mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit lässt er das Ortsschild hinter sich.
Etwa fünf Kilometer außerhalb des Ortes liegt der Hirzinger-Hof, ein Vierkantbauernhof, der vor Ewigkeiten nur auf einer Front verputzt wurde. Alle anderen Seiten zeigen den blanken Ziegelbau. Schön und liebevoll ist anders.
Vor der Hofeinfahrt steigt Sascha Friedmann aus. Er wirkt gehetzt: »Wir sollten uns beeilen, bevor die anderen aus der Messe zurück sind! Die war heute verhältnismäßig früh zu Ende.«
Im Innenhof erhebt sich ein gigantischer Misthaufen, von dem ein Rinnsal quer durch den Hof verläuft, und der Metzger weiß mit Sicherheit, er hat schon weitaus gepflegtere Bauernhöfe gesehen.
Arbeitsmaschinen stehen verdreckt herum; zerrupfte Hühner und zwei Gänse laufen durch die Gegend und laben sich an dem verfault am Boden liegenden Gemüse; ein bereits deutlich mit dem Jenseits sympathisierender Köter trinkt am Rand des Misthaufens aus einer Pfütze, wahrscheinlich in der Hoffnung, ein endgültiges Tröpferl mit gutem Abgang zu erwischen und es dem Gemüse gleichzutun; ein paar Katzen wärmen sich auf der brüchigen Betonumrandung der zentralen Ausscheidungssammelstelle; auf einer voll behängten Wäscheleine werden wirkungsvoll dem Waschmittel die chemischen Duftstoffe ausgetrieben; und überall verstreut liegen morsches Holz, zerbrochene Ziegel, Tierkot und Stroh.
Was soll ich hier?, denkt sich der Metzger erschüttert über so viel Verkommenheit, was soll es hier zu holen geben, außer Krankheiten?
Und während er hinter Sascha Friedmann zur Haustür marschiert, fällt sein Blick ins Dunkel einer links des Wohnhauses wohl als Garage gedachten Ausnehmung.
An Garage denkt der Metzger aber nur deshalb, weil der Spalt zwischen den beiden Holztoren ausreichend groß ist, um einen Blick auf jenes unübersehbare, vielsagende, den Besitzer kennzeichnende Teil freizugeben, das sich bei gar nicht wenigen Erdenbürgern mit dem Vorsatz »haben müssen« auf die Netzhaut brennt. Einen Heckspoiler.
Erdenbürger wie beispielsweise:
• männliche Führerscheindebütanten; der Wagen ist wurscht, es zählt nur das Tuning;
• männliche Potenzstörungs- oder Scheidungsdebütanten; das Tuning ist wurscht, es zählt nur der Wagen;
• ausgewählte Damen, die den Männern endlich eines ihrer Statussymbole streitig machen; auch in diesem Fall ist das Tuning wurscht, und es zählt nur der Wagen;
• und schließlich alle Polizisten, ausnahmsweise auch alle weiblichen; das Tuning ist wurscht, der Wagen ist wurscht, es zählt nur der Fahrer.
Der Metzger hat
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