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Der Metzger geht fremd

Der Metzger geht fremd

Titel: Der Metzger geht fremd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raab
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aber!«
    »Geht es dir heute gut? Macht meine Willibald ein wenig Urlaub?«
    Unpassender könnte der Anruf nicht sein.
    »So gut es geht ohne dich.«
    Die plötzliche Ruhe im Erdgeschoss wird durch Schritte im Stiegenhaus unterbrochen. Als Ausweg bleibt dem Metzger nur eine jener beiden Lügen, die ein Mensch zugleich mit der Anschaffung eines Mobiltelefons ohne moralische Bedenken automatisch in sein Sprachrepertoire aufnimmt. Nicht: »Mein Akku ist gleich leer«, sondern: »Mein Empfang ist hier sehr schlecht! Hallo? Hallo?« Zügig kriecht er unter dem Tisch hervor, erhebt sich, greift sie auf und steckt sie ein, die beiden Fotos, die in der offenen Lade zu sehen sind.
    Dann legt sich eine Finsternis über den Dachboden, nicht in Form erloschenen Lichts, sondern in Form erstickender Atmosphäre, ausgehend von der Kraft des Wortes: »Wer sind Sie, und was haben Sie in meinem Haus zu suchen?«
    Ein alter, dürrer Mann steht am Gang vor der Dachbodentür, und noch nie zuvor hat der Metzger so eine Stimme gehört. Klar, tief, tragend, von großer Eindringlichkeit und entwürdigender Geringschätzung. Der auf einen Stock gestützte Körper wird von einem zu großen schwarzen Anzug beinah verschluckt, und dennoch füllt er den Raum mit einer alles umfassenden Präsenz. Unter dem tief in der Stirn sitzenden Hut zeichnen sich aus dem gespenstischen Schatten die Konturen eines faltigen Gesichts ab. Die fordernde Stimme, der bedrohliche Blick, diese gebückte, aggressiv vorgeneigte Pose und der doch aufrecht gehaltene Kopf bringen zusammen so viel Feindseligkeit zum Ausdruck, dass es dem Metzger die Kehle zuschnürt. Unmöglich erscheint es ihm, sich gegen den Gedanken zu wehren, etwas Verbotenes getan zu haben. Gut, die Fotos hat er eingesteckt, da war der Mann aber noch gar nicht am Dachboden heroben, das weiß er ganz sicher. Es existiert also kein offenkundiger Grund, sich schlecht zu fühlen, sich dieser Macht auszuliefern, und doch hat er ein schlechtes Gewissen, einfach so.
    Ja, es gibt so Menschen, die allein durch ihr Erscheinen bei anderen ein Gefühl der Unsicherheit oder der Schuld auslösen. Der Metzger weiß längst, dass die Grundernährung der Menschheit auf psychischem Kannibalismus basiert. Er weiß das, und er muss damit zurechtkommen, so wie jeder, was bleibt ihm auch anderes übrig? Seinen Lösungsansatz hat er in der Schule praxisnah erlernt und konsequent betrieben: sich innerlich nicht beugen zu lassen, so viel Gewalt in welcher Form auch immer auf ihn einwirkt.
    Entsprechend reagiert er: »Im Auftrag von Sascha Friedmann soll ich mir diese Möbel anschauen. Und so wie es aussieht, werd ich ihm den Gefallen tun und sie nehmen!«
    Natürlich hat sich das der Willibald mit seinem Nichtbeugenlassen jetzt leichter vorgestellt.
    Noch dunkler wird die Stimme: »Im Auftrag von Sascha Friedmann also? In meinem Haus? Und in meinem Haus heißt der Taugenichts, der offenbar gerne ein anderer wäre, auch genau so, wie wir ihn haben taufen lassen, nämlich Alexander.«
    Zornerfüllt ist der Ton, erhitzt, kochend, schneidend, bissig, als ginge es um die kulinarische Zubereitung des letzten Ganges, der Henkersmahlzeit. Jetzt kann der Metzger ein freiwilliges Sascha durchaus nachvollziehen.
    Er denkt jedoch nicht im Entferntesten dran, hier zwischen Spinnweben, Lurch und Staub klein beizugeben. Nicht in Anbetracht dieser Möbel und schon gar nicht, wenn derartige Prunkstücke auf so würdelose Art und Weise dem Verfall ausgeliefert sind. Für die Rettung solcher Prachtexemplare streckt sich die ansonsten schlechte Körperhaltung des ziemlich behäbigen Restaurators schon einmal gehörig durch.
    Willibald Adrian Metzger zeigt seinen breiten Rücken und die stolz geschwellte Brust: »Ich weiß nicht, wem hier was gehört und wer hier was zu sagen hat. Ich investiere nur, wie Sie sehen, an diesem Sonntag meine Zeit und bin auf Ersuchen von Herrn Friedmann mit hergefahren, um einen Blick auf die Möbel zu werfen«, dabei zeigt der Metzger auf die Biedermeiergruppe. »Soviel ich weiß, sind die im Weg, werden von keinem gebraucht und sollen hier raus. Und nachdem offensichtlich noch niemand eine Axt genommen hat, um den Kram auf solche Weise zu entsorgen, was in Anbetracht der Lagerung und des Zustands durchaus eine Möglichkeit wäre, sieht Herr Friedmann mich als Lösung!«
    Der Blick des Mannes verdüstert sich: »Dieser Nichtsnutz kann so viele Lösungen sehen, wie er will.«
    Der Metzger kennt dieses Gehabe samt dem

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