Der Metzger geht fremd
Wortlaut zur Genüge, ob es sich nun hinter dem Gesicht kleinwüchsiger männlicher Gesetzeshüter, unsicherer Pädagogen oder von ihren Kindern überforderter Familienväter verbirgt. Es geht stets um dasselbe: um Macht. Wobei so Menschen, egal, wie tief man vor ihnen in die Knie geht, anhaltend das Gefühl haben, immer noch zu wenig Respekt abzubekommen.
Da hilft nur die Änderung der Strategie: »Das tut mir leid, wenn Sie sich übergangen fühlen, das ist natürlich keineswegs meine Absicht. Ich denke, Herrn Friedmann ging es nur darum, der gewünschten Forderung nach Räumung des Dachbodens zu entsprechen. Übrigens, Metzger ist mein Name, Willibald Adrian Metzger, Restaurator. Freut mich!«
Der Metzger streckt die Hand aus.
»Hirzinger«, murmelt der Bauer vor sich her, und die Metzger-Hand bleibt unberührt.
Wieder einer, der sich nur mit Nachnamen vorstellt. Das andere kennt er aber auch, der Metzger: die Verweigerung des Grußes. Die ist in etwa genauso vielsagend, wie wenn ein Dreißigjähriger bei einem Kindergeburtstag als einziger erwachsener Teilnehmer in einer Startformation durchwegs Siebenjähriger das Sackhüpfen gewinnt und den Hauptgewinn einfordert. Einfach nur lächerlich. Zum Lachen hat er mit dem Bauern Hans Hirzinger allerdings nichts.
Trotz der beleidigenden Art bleibt der Metzger gelassen, warum soll er auch etwas, das von jemandem kommt, den er nicht persönlich kennt, persönlich nehmen? Bis auf die Möbel natürlich.
»Was schlagen Sie vor, Herr Hirzinger, soll das jetzt zu mir, oder bleibt es hier? Nur, bevor Sie es zerhacken, sollten Sie wissen, irgendwer in der Stadt würde damit sicher seine Freude haben.«
»Und was wird sich der seine Freude kosten lassen?«
Daher weht also der Wind, denkt sich der Metzger, schickt für die folgende etwas ruchlose Bemerkung im Vorfeld ein Vergebungsgesuch an den Himmel und meint: »Glauben Sie mir, diejenigen, die damit Freude haben könnten, freuen sich auch, wenn sie täglich an ein warmes Essen kommen.« Womit sich der Metzger in Anbetracht seiner Kochfaulheit und seiner oft tagelangen Werkstattklausur bei Rotwein und belegten Broten zumindest ein klein wenig an die Wahrheit hält.
Das dürfte den richtigen Nerv getroffen haben, immerhin kommt der Bauer gerade aus der Sonntagsmesse.
»Eine Spende also? Für einen guten Zweck?«
Jetzt traut sich der Metzger aus moralischen Gründen nicht einmal zu nicken.
Sein Schweigen reicht.
Hans Hirzinger hebt seinen Stock, drischt damit auf die Tischplatte, friert kurz in dieser Position ein, als würde er den Tisch verwandeln, verhexen, verwünschen wollen und faucht: »Aufmachen!«
Nachdem nur eines gemeint sein kann, öffnet Willibald Adrian Metzger die Lade. Nach einem kurzen Blick in den leeren Innenraum dreht sich Hans Hirzinger um und geht mit den Worten: »Dann um Gottes willen, nehmen Sie den Krempel, und scheren Sie sich damit zum Teufel!«
Bei dem bin ich grad, denkt sich der Metzger und staunt über die solcherart verbale Verbundenheit vom Himmelsvater mit dem Höllenfürsten.
Mittlerweile ist auch Sascha Friedmann wiederaufgetaucht, weiß im Gesicht, aber nicht annähernd so blass wie die ihm folgende Frau. In ihrem schwarzen, hochgeschlossenen Kleid vermittelt sie das bedauernswerte Bild eines todkranken, eben mit Müh und Not aus dem Bett gekrochenen Menschen.
»Und du sag deinem verlotterten Sohn, er soll erstens gefälligst diesen Herrn wieder dorthin bringen, wo er ihn hergeholt hat, zweitens klären, wann die Möbel weggeschafft werden, weil Lieferservice sind wir keiner, und drittens schauen, dass er danach schleunigst wieder nach Hause kommt!«, faucht Hans Hirzinger, würdigt den teilnahmslosen Sascha Friedmann keines Blickes und verschwindet im Stiegenhaus.
»Mir wäre es jetzt sehr recht, wenn wir wieder fahren«, bemerkt Willibald Adrian Metzger, erfüllt von großer Sehnsucht nach seiner Werkstatt und dem dort gewohnten Frieden.
»Das tut mir alles sehr leid. Wollen Sie noch etwas trinken?«, entschuldigt sich die Frau mit gläserner Stimme. »Ich bin Luise Friedmann, die Tochter.«
Nun wird dem Metzger eine schmale Hand entgegengestreckt, die er äußerst behutsam in Empfang nimmt und die ihm das Blut in den Adern gefrieren lässt:
Diese Frau ist die Witwe von August-David.
Diese Frau hat noch alle ihre zehn knöchernen Finger, und am vorhandenen Ringfinger der rechten Hand steckt ein goldener Ehering.
Diese Frau hat sich nicht ihres Eherings samt Ringfinger
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