Der Metzger geht fremd
schließlich mit viel Überwindung von sich aus begonnen, seine eigenen Erinnerungen über die Jahre am Hof auszubreiten. Über die harte Arbeit, über die Lieblosigkeit, auch die seiner Mutter. »Sie ist anders geworden!«, hat sein Bruder bemerkt.
»Wirklich? Sie wird es schwer haben am Hof, ohne Vater und Benedikt. Das wird auch hart für dich!«
»Ich geh nicht mehr zurück!«, war die Antwort seines Bruders, und ihm wurde klar, dass, solange Benedikt hinter Schloss und Riegel sitzt, der einzige Mann an der Seite seiner Mutter ihr eigener Vater sein wird. Das Leben rächt sich, ohne Kompromisse.
Er hatte das Gefühl, dass sein Bruder weitersprechen wollte. Doch da kam nichts mehr. Nur noch ein nachdenklicher, auf den Boden gerichteter Blick.
»Wir werden noch viel Zeit haben, um zu reden«, waren Saschas Abschiedsworte.
Vor dem Fenster nimmt der Tag seinen Lauf. Das Leben fliegt vorbei wie ein Linienflug am Horizont, mit genau der
gleichen vergänglichen Spur. Ruhig liegt er in seinem Bett. Die Wunden schmerzen. Es ist ein Schmerz, der vergehen wird, ein Schmerz, der gerade wegen seiner Vergänglichkeit Mut macht. Kurz schläft er ein.
Sein Erwachen ist wie ein böser Traum.
Sofort legt sich ein längst vergessener Druck auf seine Brust und schnürt ihm den Atem ab.
Auf seinem Bett sitzt seine Mutter. In der Hand eine Blume.
Unerträglich ist ihm ihre Gegenwart. Sein Körper brennt. Warum sitzt sie neben ihm, so dicht?
In all den Jahren, in denen andere Mütter sich auf den Bettkanten ihrer Kinder niedergelassen hätten, um die Kleinen in den Schlaf zu singen, ihnen vorzulesen, sie zu trösten, zu liebkosen, stand sie gebieterisch im Türrahmen, und jetzt hockt sie an seiner Seite, ihre Hand auf die seine gelegt.
Müde Augen schauen auf ihn herab.
Augen, die er so nicht kennt.
Er kennt nur die Verachtung, er kennt nur die Kälte. Jetzt ist ein Lodern in ihrem Blick, jetzt sind ihre Augen erfüllt von einer Wärme, Sorge und Demut – die ihm Angst macht.
Es versagt ihm die Sprache.
Langsam zieht er die Hand hervor.
Ihr Blick senkt sich.
»Es tut mir so leid, Xaver!«
Nein, so nicht. Nicht nach alldem und nicht nach zwanzig Jahren ohne die geringste Regung.
Nicht so. Auftauchen, wenn den anderen die Schwäche ans Bett fesselt, die Müdigkeit den Widerspruch raubt, sich an das Bett des Wehrlosen setzen und auf die Erlösung
durch ein »Es tut mir so leid!« hoffen. Fünf Wörter können fünfunddreißig Jahre nicht aufwiegen, fünfunddreißig Jahre ohne eine einzige gute, mit dem Begriff Mutter verbundene Erinnerung.
»Xaver. Es tut mir so leid. Ich war zu schwach für alles, zu schwach für dich. Ich kann dir nichts anderes mehr geben als dein Leben!«
Er versteht sie nicht. Erneut greift sie nach seiner Hand.
Fünf Wörter.
»Ich bin es nicht, Xaver!« Ruhig sucht sie seine Augen.
Dann spült sie seinen Hass weg: »Ich bin nicht deine Mutter!«
54
Anton: –Anton & Ernst – Die Fünfte
Ernst: Anton?
Anton: –
Ernst: Anton, sag doch was!
Anton: –
Ernst: Das kannst du doch nicht machen, alter Junge?
Anton: –
Ernst: Das kannst du vor allem mit mir nicht machen. Dich einfach verabschieden und mich hier allein zurücklassen. Anton, was soll ich hier ohne dich?
Anton: –
Ernst: Verdammt noch mal, beweg dich, komm endlich herauf von da unten. Das geht doch nicht – Anton!
Anton: –
Ernst: Anton! Was ist, wenn das hier alles ist, wenn es das Paradies nicht gibt, wenn es danach einfach nur vorbei ist. Schluss, aus, Ende! Da ist es doch viel besser, hier zu sein, zusammen mit mir. Mensch, Anton, tu mir das nicht an!
Anton: –
55
I M S ONNENHOF IST WIEDER Ruhe eingekehrt. Helene Burgstaller ist wieder deutlich anhänglicher und verliert, so wie umgekehrt auch die Djurkovic, kein Wort über die Ereignisse der letzten Tage. Nur ab und zu kann sie sich die ein oder andere zynische Bemerkung nicht verkneifen, und zwar immer bezogen auf die verluderte Chefetage der Kuranstalt. Da bohrt die Danjela gar nicht weiter nach, ihr ist auch ohne weitere Informationen klar, dass es für eine verluderte Chefetage immer auch ein kleines Luder braucht.
Die Burgstaller kann sich vergnügen, wie sie will, wichtig ist der Djurkovic im Augenblick einzig, dass sie untertags wieder wen an ihrer Seite hat. Irgendwie wird sie den Verdacht nicht los, bei Gertrude Leimböck könnte sich ein kleines Gewitter zusammenbrauen.
Gertrude Leimböck hat sich mittlerweile ein umfassendes
Weitere Kostenlose Bücher