Der Metzger geht fremd
auf die Danjela zu und kracht donnernd gegen die Scheibe.
Die Djurkovic zuckt zusammen, dann will sie aufstehen. Mehr als dieses »Wollen« bringt sie allerdings nicht zusammen. Grob wird sie an den Haaren zurück in den Sessel gezogen.
»Du bleibst schön sitzen!«
Trotz der dezenten Beleuchtung des Ruheraums erkennt sie in der Spiegelung des Aquariums die Umrisse ihrer Widersacherin, ganz abgesehen davon, dass sie diese ungewöhnlich tiefe weibliche Stimme auch ohne dazugehörige Silhouette problemlos hätte zuordnen können.
»Gertrude Leimböck! Was machst du mit arme Fische?«
»Mit den Fischen mach ich gar nichts. Mit dir, Djurkovic, nur mit dir mach ich was!«
Von hinten legt sich jenes Rasiermesser an Danjelas Kehle, das sich für gewöhnlich mit der borstigen leimböckschen Beinbehaarung auseinandersetzen muss.
Dann donnert der kleine Hai abermals gegen die Scheibe.
»Scheißviecher!«, zischt es hinter Danjelas Schulter.
Die Djurkovic dreht kaum merklich ihren Kopf zur Seite. Ihr Blick kommt allerdings über die Schulter nicht hinaus. Auf dieser türmen sich nämlich büschelweise kastanienrote Locken. Ihre Locken! Wobei Locken, wenn sie nicht mehr mit den Haarwurzeln in Verbindung stehen, eher als Wolle zu bezeichnen sind. Mit verheerenden Folgen. Denn wenn der Danjela jemand an die Locken geht, geht die Djurkovic diesem Jemand an die Wolle.
Schon einmal wurden ihr aus Jux die Haare geschnitten, in der zweiten Klasse, von Dejan Milovic, während sie von den anderen Burschen auf dem Bubenklo festgehalten wurde oder zumindest festgehalten werden sollte. Der brüllende Dejan Milovic hatte natürlich schweren Erklärungsnotstand bezüglich der in seinem Oberschenkel steckenden Schere, denn dichtgehalten haben sie alle, die Häuselhelden!
Logisch, dass der Djurkovic das Rasiermesser an der Gurgel momentan weniger Sorgen bereitet als der kleine Hai.
Blitzartig packt sie die linke Hand ihrer Gegnerin und meint: »Mach ich dich sowieso fertig, Leimböck, für deine Schneiderei, aber jetzt muss ma helfen die Fische!«
Natürlich hätte sie sich denken können, dass Gertrude Leimböck ihr den Haarschnitt nicht mit dem Rasiermesser in der Linken verpasst hat – sondern mit der Schere in der Rechten, die sich jetzt von hinten über ihr rechtes Ohr schiebt, begleitet von der bildlichen Ankündigung: »Ich schneid dir deine Muschel ab, dass die Fischerl glauben, da heraußen beginnt der Ozean!«
Selbst im Nachhinein kann sich die Djurkovic kaum vorstellen, dass so ein Meeresbewohner einem Menschen von den Lippen lesen oder ihn gar durch eine Panzerglasscheibe hören kann, umso seltsamer erscheint ihr deshalb das folgende Geschehen. Dem kleinen Hai dürfte langsam die Sinnlosigkeit seiner Aktion klar geworden sein, ganz still hat er sich in sein Eck zurückgezogen. Gebannt starren die beiden Damen ins Wasser. Dann passiert das Unglaubliche. Wie aus dem Nichts beschleunigt er abermals und rast mit einem Höllentempo diagonal durchs Wasser, also nicht auf die Scheibe zu, sondern in Richtung Oberfläche.
Dann kracht es.
Plastikteile fliegen durch die Luft, Wasser spritzt aus dem Becken, und ein Fisch segelt geräuschlos durch den Ruheraum. Was hätte er auch sagen sollen, der kleine Schwarzspitzenriffhai.
»Zur Seite!«, wäre eventuell angebracht gewesen, hätte in der Entspannungsliege rechts neben der Djurkovic ein weiterer Kurgast gelegen. Zum Glück ist sie leer.
Und als ob der Fisch auf nichts anderes aus wäre als auf einen Perspektivenwechsel, landet er mit Blick zum Aquarium auf dem orangefarbenen Schaumstoffbezug.
Gertrude Leimböck brüllt wie am Spieß, worauf sie zwecks Beruhigung von Danjela Djurkovic eine saftige Ohrfeige verpasst bekommt, mit dem Hinweis: »Wenn uns findet wer mit Hai, sind wir erledigt!«
Im Leimböck-Hirn rumort es. »Stimmt. Und? Was machen wir jetzt?«
»Hai muss zurück!«
»Bist du völlig meschugge, Djurkovic?«
»Na, stirbt sonst!«
»Na und!«
Danjela Djurkovic muss nun mit ihrem Kurzhaarschnitt auf ihre Friseuse dermaßen bedrohlich wirken, dass Gertrude Leimböck in Anbetracht der verlorenen Vorherrschaft ihre Aussage sofort korrigiert.
»Na gut! Und wie?«
»Mit Schaumstoffbezug!«
Was den beiden auffällt, während sie die Entspannungsliege zur Glasscheibe schieben und den Fisch mit der orangefarbenen Liegeauflage umwickeln, ist, dass der Hai keinerlei Anstalten macht, sich zu wehren. Kein Zappeln, kein Schnappen, absolut lethargisch lässt er sich
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