Der Metzger holt den Teufel
währendes, logisches Ganzes werden ließ. Ein immer schon existentes, nur bisher noch nie zuvor gesehenes Ganzes wohlgemerkt.
»Der Teufel steckt im Detail!«, denkt der Metzger, das hat ja schon seine Mutter immer gesagt. Und in diesem Fall kann von Teufel wahrlich die Rede sein.
Irene Moritz ist verwirrt. Großen Respekt hat sie die letzten vierundzwanzig Stunden diesem Metzger gegenüberentwickelt, und nun wird ihr zu vorgerückter Stunde am Telefon in gebieterischem Tonfall befohlen: »Allein, unbedingt allein!« Alle Bemühung des Restaurators gut und schön, aber das erscheint ihr beim besten Willen ein wenig kindisch. Außerdem hätte das, sehr zur Freude Gerhard Koglers, seit Ewigkeiten einmal wieder ein gemütlicher Abend werden sollen, und dann darf sie ihren Liebsten nicht einmal mitnehmen?
Obwohl, gemütlich sieht es da im Lichtschein hinter der Fensterscheibe schon aus. Irene Moritz steigt die Treppe hinunter, öffnet die Tür zu dieser heimeligen Werkstatt, hört den hellen Klang des Glöckchens und fühlt sich zurückversetzt in ihre Kindheit. Es will und will ihr nicht aus dem Kopf, dieses Bild: sie als kleines Mädchen am Sofa sitzend, an ihren Füßen die übergroßen Schlumpf hauspatschen und vor ihren Augen Meister Eder und sein Pumuckl. Zusammen mit ihren beiden älteren Brüdern hat sie vor dem Bildschirm gehockt, und heute noch, wenn sie zusammentreffen, wird einer der beiden Herren seine Hand vor die Augen nehmen, mit herausgestreckter, vibrierender Zunge unverkennbar die Pumuckl-macht-sich-unsichtbar-Tonfolge zum Besten geben und das Schwesterchen mit kindlicher Stimme nachäffen: »Bin ich jetzt verschwunden, ja? Ich bin doch jetzt unsichtbar, oder?«
Genau diesen Wunsch wird Irene Moritz in Kürze beim Verlassen der Werkstatt verspüren: mit der Hand vor den Augen verschwinden zu können vor dem, was ihr da an Wahrheit ins Gesicht starrt. Vorerst sind es aber nur der Restaurator, wieder dieser sonderbare Junge, eine unbekannte Frau, die als Danjela Djurkovic vorgestellt wird, und ein unbekannter Mann namens Petar Wollnar.Und wenig später kommt auch das Foto hinzu, welches am Nachmittag schon zur Genüge im Kommissariat betrachtet wurde.
»Wie meinst du das?«
Irene Moritz ist fassungslos, deswegen ist sie extra hergebeten worden? Verärgert starrt sie auf den Bildschirm des Laptops, den ihr Oskar mit den Worten: »Sieht anders aus!« vors Gesicht drückt.
»Ja, Mensch, das seh ich selbst. Nur verzeih, ich will dein Können nicht schmälern, aber der Fachmann, der sitzt unter Garantie bei uns am Revier und nicht hier in der Werkstatt. Wegen einer Hasenscharte und eines Muttermals, die du bei deiner Vergrößerung nicht zu sehen bekommen hast, mach ich jetzt keinen Wirbel bei den Medien und lass die Bilder ändern. Der Homolka soll das von mir aus noch einmal überprüfen. Das darf doch nicht wahr sein, dass Sie mich deshalb haben kommen lassen, Herr Metzger, am Samstagabend!«
Zur darauf hin vom Metzger angekündigten Kastenbesichtigung und der aufgebracht von Danjela vorgetragenen Vermisstenmeldung wird immer noch etwas verärgert geantwortet: »Vielleicht ist Sophie Widhalm auch einmal froh, irgendwo ein wenig Ruhe zu haben!«
Oskars Augen zwinkern nervös, sein Kopf ist zur Seite geneigt, er lächelt nicht mehr und wird deutlich lauter: »Du verstehst das nicht, ich …«
»Was heißt, ich versteh das nicht!«, erwidert Irene Moritz energisch und erhält eine ebensolche Antwort: Schrill und anhaltend ist der Schrei.
Mit hochrotem Kopf steht Oskar in der Werkstatt, beide Hände an seine Ohren gepresst, die Augen fest zusammengekniffen.Den Kopf zum Himmel gewandt, brüllt er sich die Kehle aus dem Leib. Petar Wollnar und auch die sonst so schlagfertige Danjela Djurkovic sind, wie schon vorhin im Auto, völlig unfähig zu einer Reaktion.
So wie er es vor ein paar Tagen bei der Gruppe Skateboarder gesehen hat, geht der Metzger langsam auf ihn zu, redet auf ihn ein und legt behutsam seine Hände auf die des Jungen: »Alles gut, Oskar, es ist alles gut!«
Vergebliche Liebesmüh. »Nein! Nicht alles gut, nicht gut, gar nicht gut!«
Völlig perplex stehen die Anwesenden unter dem hallenden Kellergewölbe. Wie soll man auch reagieren?
»Zeigen Sie mir jetzt den Kleiderschrank!«, wechselt Irene Moritz schließlich das Thema. Bewusst so, als wäre er nicht da, geht sie an Oskar vorbei und betrachtet das Möbelstück. Sie kennt das zur Genüge von ihren älteren Brüdern. »Wenn
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