Der Metzger holt den Teufel
die zwei Affen ausrasten, einfach links liegen lassen und nicht aufregen. Die beruhigen sich ganz von selbst!«, wurde ihr von ihrer Mutter erklärt, und das hat sie umgesetzt, als lernfreudiges Töchterchen, mit unfassbarer Widerstandsfähigkeit. Eine gescheite Frau dürfte sie sein, ihre Mutter, denn es wird still. Als wäre nichts gewesen, steht Oskar plötzlich an ihrer Seite und lauscht aufmerksam der Geschichte, die der Metzger nun erzählt. Ohne Unterbrechung lassen die beiden den Restaurator zu Ende sprechen.
»Wichtig wäre es herauszufinden, wie Henriette Reichert während ihrer kurzen Ehe geheißen hat«, lautet sein Schlusssatz.
Irene Moritz meint dazu mit nicht überhörbarem Sarkasmus: »Na, dann werd ich, obwohl wir ja eigentlich garkeinen Sohn, sondern eine Tochter suchen, trotzdem einfach meinen Kollegen Gerhard Kogler anrufen, der sich übrigens auch im Wochenende befindet, in unserem gemeinsamen wohlgemerkt.«
»Niemanden anrufen!«, mengt sich nun wieder Oskar ein.
»Gerhard Kogler ist mein Lebensgefährte, für den verbürge ich mich, und den ruf ich jetzt an. Und da kannst du von mir aus so lange brüllen, bis der Papst aus der katholischen Kirche austritt!«
Mit einer derart direkten Ehrlichkeit behandelt zu werden, das geht nicht wirkungslos an Oskar vorbei. Selten fühlt er sich so gleichwertig angesprochen, und der Metzger kann sie sehen, die Zufriedenheit in seinen Augen.
»Hallo, Gerhard, setz dich an den Computer, aber dalli. Du sitzt schon, hab ich mir’s ja gedacht! Also gut, pass auf: Henriette, geborene Reichert, Tochter von Heinz Reichert, sie heißt heute vielleicht wieder oder noch immer so, aufgewachsen und lange wohnhaft Am Mühlengrund 1 draußen beim Palais Mühlbach – nein, die Adresse heißt Am Mühlengrund 1, ›Am‹ gehört zur Anschrift. Das Gebäude ist heute ein Gasthof namens ›Goldener Bär‹. Ich will alles über sie wissen, wie war ihr Name während ihrer ersten Ehe, und wie heißen die dazugehörigen Kinder. Eine Tochter und ein Sohn, die Tochter ist schon tot.«
Dann legt sie auf. Die kurze Wartezeit wird gar nicht erst durch den Versuch eines Gespräches überbrückt, sogar Danjela Djurkovic schweigt, obwohl sie dieser arroganten Dame einiges zu sagen hätte. Die Anspannung ist für jede Art der Unterhaltung einfach zu groß. Endlich läutet das Handy. »Also wa…« Irene Moritz kann ihrenSatz gar nicht zu Ende sprechen. Aus dem Telefon ist eine laute aufgeregte Stimme zu hören. Aschfahl wird ihr Gesicht, eiskalt ihr Blick. Die Wirklichkeit bricht wie ein Sturzbach über sie herein und reißt alles Gute mit. Alles Gute, woran Irene Moritz trotz ihres Berufes bisher zu glauben gewagt hatte.
Gerhard Kogler verstummt! Das Handy leicht vom Ohr genommen, bleibt sie breitbeinig stehen und starrt ins Leere.
»Was soll ich jetzt tun?«, klingt es aus dem Telefon. »Irene, bist du noch dran? Was um Himmels willen soll ich jetzt tun?«
»Noch nichts!«
Dann legt sie auf.
Keiner spricht ein Wort.
Langsam wendet sie sich dem Laptop zu.
»Oskar, mach das bitte noch größer. Bring mich an diese Augen heran, ganz dicht!«
Oskar bringt nicht nur das Foto näher heran, sondern er nimmt noch eine Veränderung vor. Verschwommen blickt ein grünes Augenpaar aus dem Bildschirm heraus, und selbst wenn es messerscharf wäre, für Irene Moritz würde es in diesem Moment genauso unklar bleiben. Tränen der Wut laufen ihr über die Wangen und tropfen auf den Steinboden.
Willibald Adrian Metzger hat keine Ahnung, was eben am Telefon gesprochen wurde, er muss die Frage aber gar nicht mehr stellen, um zu wissen: Seine beziehungsweise Oskars Vermutung, ihre größte Befürchtung, trifft zu. Nur ein Name ist jetzt noch wichtig: »Sophie Widhalm!«
60
K ONZENTRIERT BLICKTE SIE nach vorn, ganz am rechten Rand des Weges orientiert. Der Wagen näherte sich, hatte ihre Höhe erreicht und nahm ihr Tempo auf. Sophie Widhalm beschleunigte ihren Schritt, der Wagen hielt mit. Eine kurze Kopf bewegung reichte, um ihr die Insassen zu verdeutlichen: Am Steuer saß eine hagere Frau, daneben ein Junge. Genau derselbe Junge, der vorhin an ihrer Sprechanlage gestanden hatte, und genauso wie vorhin sah er gebannt in ihr Gesicht. Das Fenster öffnete sich, dann folgte in stakkatoartigem Tonfall eine unmissverständliche Anweisung: »Sophie Widhalm, geboren am 22. Dezember? Du musst mitkommen. Jetzt!«
Liebenswürdig lächelte er ihr entgegen, und ja, sie hätte es als durchaus
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