Der Metzger holt den Teufel
Menschen ist es einfach leichter, Willibald!«, hatte ihm seine Mutter einst erklärt, während sie ihrem einzigen Sohn mit den Worten »Im Leben zählt trotzdem nur die wahre Schönheit, merk dir das!« ihre üppige Liebe in Kombination mit ebensolchen Kochkünsten angedeihen ließ. Nicht, dass es auch nur ansatzweise die wahre Schönheit eines Menschen beeinträchtigen könnte, wenn ein aufrecht stehender Knabe, ohne sich vorzubeugen, seine eigenen Zehen nicht mehr zu Gesicht bekommt – nur, wissen das auch die anderen Mitschüler in der Turngarderobe? Der Metzger kann sich jedenfalls nicht daran erinnern.
Anders ist es bei dieser Fremden. Irgendetwas an ihr wirkt vertraut.
»Herr Metzger?«
Es ist eine sanfte Stimme, ganz typgerecht, genauso zart wie alles andere an ihr.
»Was kann ich für Sie tun?«
»Sind Sie Willibald Adrian Metzger?«
»Ja, der bin ich. Restaurator, wie Sie sehen können.« Dabei deutet er stolz in den Raum. »Brauchen Sie meine Hilfe, wollen Sie etwas in Schuss bringen lassen, suchen Sie etwas Schönes?«
Sie lächelt, und die Werkstatt lächelt mit. Dann meint sie, und sehr bedacht klingt jedes ihrer Worte: »Eigentlich trifft alles zu: Ich brauche Ihre Hilfe, muss etwas in Schuss bringen und suche etwas Schönes!«
»Na, da bin ich jetzt aber gespannt!«
Sie tritt ein paar Schritte näher, und nun nimmt der Metzger auch ihren Geruch wahr. Ein Hauch von Karamell, Erdbeere und Zitrone. Abermals erhöht sich sein Puls, und gut ist das, dieser allmähliche Anstieg der Herzfrequenz. Denn schlagartig in jene Bereiche zu kommen, die dem Metzger gleich noch ins Haus stehen, wäre in der körperlichen Verfassung des Restaurators denkbar ungesund.
»Nach etwas Schönem suche ich, weil vor ein paar Tagen meine Mutter gestorben ist. Sie war mein Ein und Alles, wissen Sie. Mein Lebensmensch, meine Freundin, meine …« Sie stockt, atmet tief, umfasst den Gurt ihrer Handtasche, als versuchte sie in Anbetracht des drohenden emotionalen Absturzes die Reißleine zu ziehen. Dann spricht sie weiter, mitten hinein in das durch den Raum klingende, etwas hilf lose »Mein Beileid« des Metzgers.
»Ich will mir schöne Eckpfeiler für dieses weitere Leben suchen, muss es in Schuss bringen, mich allem stellen. Verstehen Sie das?«
Der Metzger ist durch diese Offenheit etwas überrumpelt. Therapeut bin ich aber keiner!, geht es ihm durch den Kopf, dann meint er: »Ja, das versteh ich sehr gut, Frau …?«
»Verzeihn Sie, ich hab mich noch gar nicht vorgestellt. Sophie Widhalm, freut mich sehr!«
Eine Spur zu lange bleibt ihre zarte Hand zwischen den kräftigen Fingern des Willibald Adrian liegen. Nur diesen winzigen Moment, in dem unmissverständlich klar wird: Da ist mehr.
Beim Metzger nistet sich ein Schwarm flugfähiger Insekten in der Magengrube ein, ihm ist heiß. Für so etwas ist er einfach nicht in Übung, einfach nicht der Typ und einfach zu alt. Außerdem könnte diese anmutige Erscheinung in ihrer jugendlichen Zartheit beinah als meine Tochter durchgehen!, besinnt er sich. Was natürlich einer typisch männlichen Fehleinschätzung zugrunde liegt. Denn einer Frau wären sie bereits beim ersten Hinsehen aufgefallen, diese kosmetisch aufgetragenen Blendungsversuche samt den darunterliegenden Hautalterungen und Fältchen in den Augenwinkeln.
Nichtsdestotrotz, Sophie Widhalm ist eine seiner bisher jüngsten Kundinnen. Ans Restaurieren denkt man eben erst, wenn Altes bewahrt werden soll, wenn vertraute Gesichter abhandenkommen, wenn in all dem, was zurückgelassen wurde, die Suche nach dem Verlorenen beginnt.
»Frau Widhalm, wie gesagt, der Verlust Ihrer Mutter tut mir sehr leid, und ich versteh Sie wirklich gut. Aber ob ich Ihnen in Ihrer jetzigen Situation mit meinen Möbeln schöne Eckpfeiler für Ihr weiteres Leben bieten kann, wage ich zu bezweifeln. Zierstücke können sie vielleicht sein, aber Orientierungspunkte wohl eher nicht!«
Es ist ein auffordernder Blick, dem der Metzger da standhalten muss, einer, der auf ein Entgegenkommen wartet, dann sieht sie zu Boden und flüstert: »Die Möbel habe ich auch nicht gemeint!«
Dieses ewige Warten ist ja gar nichts für Danjela Djurkovic. Eigentlich hätte sie ihren Willibald nach Montag einfach anrufen und für den nächsten Abend einladen sollen. Heute ist Freitag, keinen Tag länger mehr hält sie das aus. So anstrengend kann die Arbeit ja gar nicht sein, dass ein Herz nicht noch ein wenig zusätzliche und vor allem erfreuliche
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